als die verwilderten Männer gleichzeitig auf die schmale, unter ihren Tritten schwankende Brücke stürzten, sich gegenseitig packten und die Fäuste in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer bleichen zitternden Gesichter schlugen. Es ist nichts Anmuthiges und nichts weniger als artig, wenn sonst gesetzte Menschen noch in den Fall kommen, aus Übermuth, Unbedacht oder Noth¬ wehr unter allerhand Volk, das sie nicht näher berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu be¬ kommen; allein dies ist eine harmlose Spielerei gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menschen überwältigt, die sich wohl kennen und seit lange kennen, wenn diese aus innerster Feindschaft und aus dem Gange einer ganzen Lebensgeschichte heraus sich mit nackten Händen anfassen und mit Fäusten schlagen. So thaten jetzt diese bei¬ den ergrauten Männer; vor vierzig Jahren vielleicht hatten sie sich als Buben zum letzten Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in ihrer guten Zeit, wo sie sich etwa zum Gruße die Hände geschüttelt und auch dies nur selten bei ihrem trockenen und sicheren Wesen. Nach¬
als die verwilderten Männer gleichzeitig auf die ſchmale, unter ihren Tritten ſchwankende Brücke ſtürzten, ſich gegenſeitig packten und die Fäuſte in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer bleichen zitternden Geſichter ſchlugen. Es iſt nichts Anmuthiges und nichts weniger als artig, wenn ſonſt geſetzte Menſchen noch in den Fall kommen, aus Übermuth, Unbedacht oder Noth¬ wehr unter allerhand Volk, das ſie nicht näher berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu be¬ kommen; allein dies iſt eine harmloſe Spielerei gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menſchen überwältigt, die ſich wohl kennen und ſeit lange kennen, wenn dieſe aus innerſter Feindſchaft und aus dem Gange einer ganzen Lebensgeſchichte heraus ſich mit nackten Händen anfaſſen und mit Fäuſten ſchlagen. So thaten jetzt dieſe bei¬ den ergrauten Männer; vor vierzig Jahren vielleicht hatten ſie ſich als Buben zum letzten Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in ihrer guten Zeit, wo ſie ſich etwa zum Gruße die Hände geſchüttelt und auch dies nur ſelten bei ihrem trockenen und ſicheren Weſen. Nach¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0270"n="258"/>
als die verwilderten Männer gleichzeitig auf die<lb/>ſchmale, unter ihren Tritten ſchwankende Brücke<lb/>ſtürzten, ſich gegenſeitig packten und die Fäuſte<lb/>
in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer<lb/>
bleichen zitternden Geſichter ſchlugen. Es iſt<lb/>
nichts Anmuthiges und nichts weniger als artig,<lb/>
wenn ſonſt geſetzte Menſchen noch in den Fall<lb/>
kommen, aus Übermuth, Unbedacht oder Noth¬<lb/>
wehr unter allerhand Volk, das ſie nicht näher<lb/>
berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu be¬<lb/>
kommen; allein dies iſt eine harmloſe Spielerei<lb/>
gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menſchen<lb/>
überwältigt, die ſich wohl kennen und ſeit lange<lb/>
kennen, wenn dieſe aus innerſter Feindſchaft und<lb/>
aus dem Gange einer ganzen Lebensgeſchichte<lb/>
heraus ſich mit nackten Händen anfaſſen und<lb/>
mit Fäuſten ſchlagen. So thaten jetzt dieſe bei¬<lb/>
den ergrauten Männer; vor vierzig Jahren<lb/>
vielleicht hatten ſie ſich als Buben zum letzten<lb/>
Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre<lb/>
mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in<lb/>
ihrer guten Zeit, wo ſie ſich etwa zum Gruße<lb/>
die Hände geſchüttelt und auch dies nur ſelten<lb/>
bei ihrem trockenen und ſicheren Weſen. Nach¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[258/0270]
als die verwilderten Männer gleichzeitig auf die
ſchmale, unter ihren Tritten ſchwankende Brücke
ſtürzten, ſich gegenſeitig packten und die Fäuſte
in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer
bleichen zitternden Geſichter ſchlugen. Es iſt
nichts Anmuthiges und nichts weniger als artig,
wenn ſonſt geſetzte Menſchen noch in den Fall
kommen, aus Übermuth, Unbedacht oder Noth¬
wehr unter allerhand Volk, das ſie nicht näher
berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu be¬
kommen; allein dies iſt eine harmloſe Spielerei
gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menſchen
überwältigt, die ſich wohl kennen und ſeit lange
kennen, wenn dieſe aus innerſter Feindſchaft und
aus dem Gange einer ganzen Lebensgeſchichte
heraus ſich mit nackten Händen anfaſſen und
mit Fäuſten ſchlagen. So thaten jetzt dieſe bei¬
den ergrauten Männer; vor vierzig Jahren
vielleicht hatten ſie ſich als Buben zum letzten
Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre
mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in
ihrer guten Zeit, wo ſie ſich etwa zum Gruße
die Hände geſchüttelt und auch dies nur ſelten
bei ihrem trockenen und ſicheren Weſen. Nach¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/270>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.