sie oft die größte Angst und Sorge, dieselbe beizutreiben. Bald hatten sie auch den Wein nur noch in einer großen Flasche verborgen, die sie heimlich in einer andern Kneipe füllen ließen, und so sollten sie nun die Wirthe machen ohne Wein und Brod und freundlich sein, ohne or¬ dentlich gegessen zu haben. Sie waren beinahe froh, wenn nur Niemand kam, und hockten so in ihrem Kneipchen, ohne leben noch sterben zu können. Als die Frau diese traurigen Erfah¬ rungen machte, zog sie den grünen Spenser wie¬ der aus und nahm abermals eine Veränderung vor, indem sie nun, wie früher die Fehler, so nun einige weibliche Tugenden aufkommen ließ und mehr ausbildete, da Noth an den Mann ging. Sie übte Geduld und suchte den Alten aufrecht zu halten und den Jungen zum Guten anzuweisen; sie opferte sich vielfältig in allerlei Dingen, kurz sie übte in ihrer Weise eine Art von wohlthätigem Einfluß, der zwar nicht weit reichte und nicht viel besserte, aber immerhin besser war als gar nichts oder als das Gegen¬ theil und die Zeit wenigstens verbringen half, welche sonst viel früher hätte brechen müssen für
ſie oft die größte Angſt und Sorge, dieſelbe beizutreiben. Bald hatten ſie auch den Wein nur noch in einer großen Flaſche verborgen, die ſie heimlich in einer andern Kneipe füllen ließen, und ſo ſollten ſie nun die Wirthe machen ohne Wein und Brod und freundlich ſein, ohne or¬ dentlich gegeſſen zu haben. Sie waren beinahe froh, wenn nur Niemand kam, und hockten ſo in ihrem Kneipchen, ohne leben noch ſterben zu können. Als die Frau dieſe traurigen Erfah¬ rungen machte, zog ſie den grünen Spenſer wie¬ der aus und nahm abermals eine Veränderung vor, indem ſie nun, wie früher die Fehler, ſo nun einige weibliche Tugenden aufkommen ließ und mehr ausbildete, da Noth an den Mann ging. Sie übte Geduld und ſuchte den Alten aufrecht zu halten und den Jungen zum Guten anzuweiſen; ſie opferte ſich vielfältig in allerlei Dingen, kurz ſie übte in ihrer Weiſe eine Art von wohlthätigem Einfluß, der zwar nicht weit reichte und nicht viel beſſerte, aber immerhin beſſer war als gar nichts oder als das Gegen¬ theil und die Zeit wenigſtens verbringen half, welche ſonſt viel früher hätte brechen müſſen für
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0263"n="251"/>ſie oft die größte Angſt und Sorge, dieſelbe<lb/>
beizutreiben. Bald hatten ſie auch den Wein<lb/>
nur noch in einer großen Flaſche verborgen, die<lb/>ſie heimlich in einer andern Kneipe füllen ließen,<lb/>
und ſo ſollten ſie nun die Wirthe machen ohne<lb/>
Wein und Brod und freundlich ſein, ohne or¬<lb/>
dentlich gegeſſen zu haben. Sie waren beinahe<lb/>
froh, wenn nur Niemand kam, und hockten ſo<lb/>
in ihrem Kneipchen, ohne leben noch ſterben zu<lb/>
können. Als die Frau dieſe traurigen Erfah¬<lb/>
rungen machte, zog ſie den grünen Spenſer wie¬<lb/>
der aus und nahm abermals eine Veränderung<lb/>
vor, indem ſie nun, wie früher die Fehler, ſo<lb/>
nun einige weibliche Tugenden aufkommen ließ<lb/>
und mehr ausbildete, da Noth an den Mann<lb/>
ging. Sie übte Geduld und ſuchte den Alten<lb/>
aufrecht zu halten und den Jungen zum Guten<lb/>
anzuweiſen; ſie opferte ſich vielfältig in allerlei<lb/>
Dingen, kurz ſie übte in ihrer Weiſe eine Art<lb/>
von wohlthätigem Einfluß, der zwar nicht weit<lb/>
reichte und nicht viel beſſerte, aber immerhin<lb/>
beſſer war als gar nichts oder als das Gegen¬<lb/>
theil und die Zeit wenigſtens verbringen half,<lb/>
welche ſonſt viel früher hätte brechen müſſen für<lb/></p></div></body></text></TEI>
[251/0263]
ſie oft die größte Angſt und Sorge, dieſelbe
beizutreiben. Bald hatten ſie auch den Wein
nur noch in einer großen Flaſche verborgen, die
ſie heimlich in einer andern Kneipe füllen ließen,
und ſo ſollten ſie nun die Wirthe machen ohne
Wein und Brod und freundlich ſein, ohne or¬
dentlich gegeſſen zu haben. Sie waren beinahe
froh, wenn nur Niemand kam, und hockten ſo
in ihrem Kneipchen, ohne leben noch ſterben zu
können. Als die Frau dieſe traurigen Erfah¬
rungen machte, zog ſie den grünen Spenſer wie¬
der aus und nahm abermals eine Veränderung
vor, indem ſie nun, wie früher die Fehler, ſo
nun einige weibliche Tugenden aufkommen ließ
und mehr ausbildete, da Noth an den Mann
ging. Sie übte Geduld und ſuchte den Alten
aufrecht zu halten und den Jungen zum Guten
anzuweiſen; ſie opferte ſich vielfältig in allerlei
Dingen, kurz ſie übte in ihrer Weiſe eine Art
von wohlthätigem Einfluß, der zwar nicht weit
reichte und nicht viel beſſerte, aber immerhin
beſſer war als gar nichts oder als das Gegen¬
theil und die Zeit wenigſtens verbringen half,
welche ſonſt viel früher hätte brechen müſſen für
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/263>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.