Begehrlichkeit, ihre Zungenfertigkeit zu einem grundfalschen und verlogenen Schmeichel- und Verläumdungswesen, mit welchem sie jeden Au¬ genblick das Gegentheil von dem sagte, was sie dachte, alles hinter einander hetzte, und ihrem eigenen Manne ein X für ein U vormachte; ihre ursprüngliche Offenheit, mit der sie sich der un¬ schuldigeren Plauderei erfreut, ward nun zur abgehärteten Schamlosigkeit, mit der sie jenes falsche Wesen betrieb, und so, statt unter ihrem Manne zu leiden, drehte sie ihm eine Nase; wenn er es arg trieb, so machte sie es bunt, ließ sich nichts abgehen und gedieh zu der dick¬ sten Blüthe einer Vorsteherin des zerfallenden Hauses.
So war es nun schlimm bestellt um die armen Kinder, welche weder eine gute Hoffnung für ihre Zukunft fassen konnten, noch sich auch nur einer lieblich frohen Jugend erfreuten, da überall nichts als Zank und Sorge war. Vren¬ chen hatte anscheinend einen schlimmeren Stand, als Sali, da seine Mutter todt und es einsam in einem wüsten Hause der Tyrannei eines ver¬ wilderten Vaters anheimgegeben war. Als es
Begehrlichkeit, ihre Zungenfertigkeit zu einem grundfalſchen und verlogenen Schmeichel- und Verläumdungsweſen, mit welchem ſie jeden Au¬ genblick das Gegentheil von dem ſagte, was ſie dachte, alles hinter einander hetzte, und ihrem eigenen Manne ein X für ein U vormachte; ihre urſprüngliche Offenheit, mit der ſie ſich der un¬ ſchuldigeren Plauderei erfreut, ward nun zur abgehärteten Schamloſigkeit, mit der ſie jenes falſche Weſen betrieb, und ſo, ſtatt unter ihrem Manne zu leiden, drehte ſie ihm eine Naſe; wenn er es arg trieb, ſo machte ſie es bunt, ließ ſich nichts abgehen und gedieh zu der dick¬ ſten Blüthe einer Vorſteherin des zerfallenden Hauſes.
So war es nun ſchlimm beſtellt um die armen Kinder, welche weder eine gute Hoffnung für ihre Zukunft faſſen konnten, noch ſich auch nur einer lieblich frohen Jugend erfreuten, da überall nichts als Zank und Sorge war. Vren¬ chen hatte anſcheinend einen ſchlimmeren Stand, als Sali, da ſeine Mutter todt und es einſam in einem wüſten Hauſe der Tyrannei eines ver¬ wilderten Vaters anheimgegeben war. Als es
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Begehrlichkeit, ihre Zungenfertigkeit zu einem
grundfalſchen und verlogenen Schmeichel- und
Verläumdungsweſen, mit welchem ſie jeden Au¬
genblick das Gegentheil von dem ſagte, was ſie
dachte, alles hinter einander hetzte, und ihrem
eigenen Manne ein X für ein U vormachte; ihre
urſprüngliche Offenheit, mit der ſie ſich der un¬
ſchuldigeren Plauderei erfreut, ward nun zur
abgehärteten Schamloſigkeit, mit der ſie jenes
falſche Weſen betrieb, und ſo, ſtatt unter ihrem
Manne zu leiden, drehte ſie ihm eine Naſe;
wenn er es arg trieb, ſo machte ſie es bunt,
ließ ſich nichts abgehen und gedieh zu der dick¬
ſten Blüthe einer Vorſteherin des zerfallenden
Hauſes.
So war es nun ſchlimm beſtellt um die
armen Kinder, welche weder eine gute Hoffnung
für ihre Zukunft faſſen konnten, noch ſich auch
nur einer lieblich frohen Jugend erfreuten, da
überall nichts als Zank und Sorge war. Vren¬
chen hatte anſcheinend einen ſchlimmeren Stand,
als Sali, da ſeine Mutter todt und es einſam
in einem wüſten Hauſe der Tyrannei eines ver¬
wilderten Vaters anheimgegeben war. Als es
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/250>, abgerufen am 23.11.2024.
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