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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Handel ein gefundenes Essen war, und bald
hatte jeder der Streitenden einen Anhang von
Unterhändlern, Zuträgern und Rathgebern hinter
sich, welche alles baare Geld auf hundert We¬
gen abzuziehen wußten. Denn das Fleckchen
Erde mit dem Steinhaufen darüber, auf welchem
bereits wieder ein Wald von Nesseln und Di¬
steln blühte, war nur noch der erste Keim oder
der Grundstein einer verworrenen Geschichte und
Lebensweise, in welcher die zwei Fünfzigjährigen
noch andere Gewohnheiten und Sitten, Grund¬
sätze und Hoffnungen annahmen, als sie bisher
geübt. Je mehr Geld sie verloren, desto sehn¬
süchtiger wünschten sie welches zu haben, und je
weniger sie hatten, desto hartnäckiger dachten sie
reich zu werden und es dem andern zuvorzuthun.
Sie ließen sich zu jedem Schwindel verleiten
und setzten auch Jahr aus Jahr ein in alle
deutschen Lotterien, deren Loose massenhaft in
Seldwyla zirkulirten. Aber nie bekamen sie ei¬
nen Thaler Gewinnst zu Gesicht, sondern hörten
nur immer vom Gewinnen anderer Leute und
wie sie selbst beinahe gewonnen hätten, indessen
diese Leidenschaft ein regelmäßiger Geldabfluß für

Handel ein gefundenes Eſſen war, und bald
hatte jeder der Streitenden einen Anhang von
Unterhändlern, Zuträgern und Rathgebern hinter
ſich, welche alles baare Geld auf hundert We¬
gen abzuziehen wußten. Denn das Fleckchen
Erde mit dem Steinhaufen darüber, auf welchem
bereits wieder ein Wald von Neſſeln und Di¬
ſteln blühte, war nur noch der erſte Keim oder
der Grundſtein einer verworrenen Geſchichte und
Lebensweiſe, in welcher die zwei Fünfzigjährigen
noch andere Gewohnheiten und Sitten, Grund¬
ſätze und Hoffnungen annahmen, als ſie bisher
geübt. Je mehr Geld ſie verloren, deſto ſehn¬
ſüchtiger wünſchten ſie welches zu haben, und je
weniger ſie hatten, deſto hartnäckiger dachten ſie
reich zu werden und es dem andern zuvorzuthun.
Sie ließen ſich zu jedem Schwindel verleiten
und ſetzten auch Jahr aus Jahr ein in alle
deutſchen Lotterien, deren Looſe maſſenhaft in
Seldwyla zirkulirten. Aber nie bekamen ſie ei¬
nen Thaler Gewinnſt zu Geſicht, ſondern hörten
nur immer vom Gewinnen anderer Leute und
wie ſie ſelbſt beinahe gewonnen hätten, indeſſen
dieſe Leidenſchaft ein regelmäßiger Geldabfluß für

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[235/0247] Handel ein gefundenes Eſſen war, und bald hatte jeder der Streitenden einen Anhang von Unterhändlern, Zuträgern und Rathgebern hinter ſich, welche alles baare Geld auf hundert We¬ gen abzuziehen wußten. Denn das Fleckchen Erde mit dem Steinhaufen darüber, auf welchem bereits wieder ein Wald von Neſſeln und Di¬ ſteln blühte, war nur noch der erſte Keim oder der Grundſtein einer verworrenen Geſchichte und Lebensweiſe, in welcher die zwei Fünfzigjährigen noch andere Gewohnheiten und Sitten, Grund¬ ſätze und Hoffnungen annahmen, als ſie bisher geübt. Je mehr Geld ſie verloren, deſto ſehn¬ ſüchtiger wünſchten ſie welches zu haben, und je weniger ſie hatten, deſto hartnäckiger dachten ſie reich zu werden und es dem andern zuvorzuthun. Sie ließen ſich zu jedem Schwindel verleiten und ſetzten auch Jahr aus Jahr ein in alle deutſchen Lotterien, deren Looſe maſſenhaft in Seldwyla zirkulirten. Aber nie bekamen ſie ei¬ nen Thaler Gewinnſt zu Geſicht, ſondern hörten nur immer vom Gewinnen anderer Leute und wie ſie ſelbſt beinahe gewonnen hätten, indeſſen dieſe Leidenſchaft ein regelmäßiger Geldabfluß für

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/247>, abgerufen am 22.11.2024.