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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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wandert, Hand in Hand, und sich daran be¬
lustigt, die verschlungenen Hände über die hohen
Distelstauden zu schwingen, ließen sie sich endlich
im Schatten einer solchen nieder und das Mäd¬
chen begann, seine Puppe mit den langen Blät¬
tern des Wegekrautes zu bekleiden, so daß sie
einen schönen grünen und ausgezackten Rock be¬
kam; eine einsame rothe Mohnblume, die da
noch blühte, wurde ihr als Haube über den
Kopf gezogen und mit einem Grase festgebun¬
den, und nun sah die kleine Person aus wie
eine Zauberfrau, besonders nachdem sie noch ein
Halsband und einen Gürtel von kleinen rothen
Beerchen erhalten. Dann wurde sie hoch in die
Stengel der Distel gesetzt und eine Weile mit
vereinten Blicken angeschaut, bis der Knabe sie
genugsam besehen und mit einem Steine herun¬
terwarf. Dadurch gerieth aber ihr Putz in Un¬
ordnung und das Mädchen entkleidete sie schleu¬
nigst, um sie aufs Neue zu schmücken; doch als
die Puppe eben wieder nackt und blos war und
nur noch der rothen Haube sich erfreuete, entriß
der wilde Junge seiner Gefährtin, das Spielzeug
und warf es hoch in die Luft. Das Mädchen

wandert, Hand in Hand, und ſich daran be¬
luſtigt, die verſchlungenen Hände über die hohen
Diſtelſtauden zu ſchwingen, ließen ſie ſich endlich
im Schatten einer ſolchen nieder und das Mäd¬
chen begann, ſeine Puppe mit den langen Blät¬
tern des Wegekrautes zu bekleiden, ſo daß ſie
einen ſchönen grünen und ausgezackten Rock be¬
kam; eine einſame rothe Mohnblume, die da
noch blühte, wurde ihr als Haube über den
Kopf gezogen und mit einem Graſe feſtgebun¬
den, und nun ſah die kleine Perſon aus wie
eine Zauberfrau, beſonders nachdem ſie noch ein
Halsband und einen Gürtel von kleinen rothen
Beerchen erhalten. Dann wurde ſie hoch in die
Stengel der Diſtel geſetzt und eine Weile mit
vereinten Blicken angeſchaut, bis der Knabe ſie
genugſam beſehen und mit einem Steine herun¬
terwarf. Dadurch gerieth aber ihr Putz in Un¬
ordnung und das Mädchen entkleidete ſie ſchleu¬
nigſt, um ſie aufs Neue zu ſchmücken; doch als
die Puppe eben wieder nackt und blos war und
nur noch der rothen Haube ſich erfreuete, entriß
der wilde Junge ſeiner Gefährtin, das Spielzeug
und warf es hoch in die Luft. Das Mädchen

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[218/0230] wandert, Hand in Hand, und ſich daran be¬ luſtigt, die verſchlungenen Hände über die hohen Diſtelſtauden zu ſchwingen, ließen ſie ſich endlich im Schatten einer ſolchen nieder und das Mäd¬ chen begann, ſeine Puppe mit den langen Blät¬ tern des Wegekrautes zu bekleiden, ſo daß ſie einen ſchönen grünen und ausgezackten Rock be¬ kam; eine einſame rothe Mohnblume, die da noch blühte, wurde ihr als Haube über den Kopf gezogen und mit einem Graſe feſtgebun¬ den, und nun ſah die kleine Perſon aus wie eine Zauberfrau, beſonders nachdem ſie noch ein Halsband und einen Gürtel von kleinen rothen Beerchen erhalten. Dann wurde ſie hoch in die Stengel der Diſtel geſetzt und eine Weile mit vereinten Blicken angeſchaut, bis der Knabe ſie genugſam beſehen und mit einem Steine herun¬ terwarf. Dadurch gerieth aber ihr Putz in Un¬ ordnung und das Mädchen entkleidete ſie ſchleu¬ nigſt, um ſie aufs Neue zu ſchmücken; doch als die Puppe eben wieder nackt und blos war und nur noch der rothen Haube ſich erfreuete, entriß der wilde Junge ſeiner Gefährtin, das Spielzeug und warf es hoch in die Luft. Das Mädchen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/230>, abgerufen am 22.11.2024.