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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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"Jeder Arbeiter ist seines Lohnes werth,
und so auch der, welcher für das Wohl des
Landes arbeitet und dessen öffentliche Dinge be¬
sorgt, die in jedem Hause in Einrichtungen und
Gesetzen auf das Tiefste eingreifen. Schon die
alleräußerlichste Artigkeit und Höflichkeit gegen
die betrauten Männer erforderte es, wenigstens
an diesem Tage sich vollzählig einzufinden, damit
sie sehen, daß sie nicht in der Luft stehen. Der
Anstand vor den Nachbaren und das Beispiel
für die Kinder verlangen es ebenfalls, daß diese
Handlung mit Kraft und Würde begangen wird,
und da finden es diese Helden unbequem und
lächerlich, die gleichen, welche täglich die größte
Pünktlichkeit inne halten, um einer Kegelpartie
oder einer nichtssagenden aberwitzigen Geschichte
beizuwohnen.

"Wie, wenn nun die sämmtlichen Behörden,
über solche Unhöflichkeit erbittert, euch den Sack
vor die Thür würfen und auf einmal abtreten
würden? Sag' nicht, daß dies nie geschehen
werde! Es wäre doch immer möglich, und als¬
dann würde eure Selbstherrlichkeit dastehen, wie
die Butter an der Sonne; denn nur durch gute

»Jeder Arbeiter iſt ſeines Lohnes werth,
und ſo auch der, welcher für das Wohl des
Landes arbeitet und deſſen öffentliche Dinge be¬
ſorgt, die in jedem Hauſe in Einrichtungen und
Geſetzen auf das Tiefſte eingreifen. Schon die
alleräußerlichſte Artigkeit und Höflichkeit gegen
die betrauten Männer erforderte es, wenigſtens
an dieſem Tage ſich vollzählig einzufinden, damit
ſie ſehen, daß ſie nicht in der Luft ſtehen. Der
Anſtand vor den Nachbaren und das Beiſpiel
für die Kinder verlangen es ebenfalls, daß dieſe
Handlung mit Kraft und Würde begangen wird,
und da finden es dieſe Helden unbequem und
lächerlich, die gleichen, welche täglich die größte
Pünktlichkeit inne halten, um einer Kegelpartie
oder einer nichtsſagenden aberwitzigen Geſchichte
beizuwohnen.

»Wie, wenn nun die ſämmtlichen Behörden,
über ſolche Unhöflichkeit erbittert, euch den Sack
vor die Thür würfen und auf einmal abtreten
würden? Sag' nicht, daß dies nie geſchehen
werde! Es wäre doch immer möglich, und als¬
dann würde eure Selbſtherrlichkeit daſtehen, wie
die Butter an der Sonne; denn nur durch gute

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[191/0203] »Jeder Arbeiter iſt ſeines Lohnes werth, und ſo auch der, welcher für das Wohl des Landes arbeitet und deſſen öffentliche Dinge be¬ ſorgt, die in jedem Hauſe in Einrichtungen und Geſetzen auf das Tiefſte eingreifen. Schon die alleräußerlichſte Artigkeit und Höflichkeit gegen die betrauten Männer erforderte es, wenigſtens an dieſem Tage ſich vollzählig einzufinden, damit ſie ſehen, daß ſie nicht in der Luft ſtehen. Der Anſtand vor den Nachbaren und das Beiſpiel für die Kinder verlangen es ebenfalls, daß dieſe Handlung mit Kraft und Würde begangen wird, und da finden es dieſe Helden unbequem und lächerlich, die gleichen, welche täglich die größte Pünktlichkeit inne halten, um einer Kegelpartie oder einer nichtsſagenden aberwitzigen Geſchichte beizuwohnen. »Wie, wenn nun die ſämmtlichen Behörden, über ſolche Unhöflichkeit erbittert, euch den Sack vor die Thür würfen und auf einmal abtreten würden? Sag' nicht, daß dies nie geſchehen werde! Es wäre doch immer möglich, und als¬ dann würde eure Selbſtherrlichkeit daſtehen, wie die Butter an der Sonne; denn nur durch gute

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/203>, abgerufen am 25.11.2024.