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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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und wollte sich wieder wegmachen. Sie ergriff
ihn aber bei der Hand und führte ihn etwas
zur Seite, indem sie sagte: "Hier habe ich Dir
Rock und Hut gebracht, nun thu' mir den Ge¬
fallen und geh' zu den Wahlen! Es ist ein
wahrer Skandal, wenn Niemand geht aus der
Stadt!"

"Das fehlte auch noch, erwiederte Fritz un¬
geduldig, jetzt abermals bei diesem Wetter, in
der langweiligen Kirche zu sitzen und Stimm¬
zettel umherzubieten. Natürlich wirst Du dann
für den Nachmittag schon irgend ein Leichenbe¬
gängniß in Bereitschaft haben, wo ich wieder
mithumpeln soll, damit der Tag ja ganz ver¬
schleudert werde! Daß ihr Weibsleute Unser¬
einen immer an Begräbnisse und Kindertaufen
hinspedirt, ist begreiflich; daß ihr euch aber so
sehr um die Politik bekümmert, ist mir ganz
etwas Neues!"

"Schande genug, sagte sie, daß die Frauen
euch vermahnen sollen, zu thun, was sich gebührt
und was eine verschworne Pflicht und Schul¬
digkeit ist!"

"Ei so thue doch nicht so, erwiederte Fritz,

und wollte ſich wieder wegmachen. Sie ergriff
ihn aber bei der Hand und führte ihn etwas
zur Seite, indem ſie ſagte: »Hier habe ich Dir
Rock und Hut gebracht, nun thu' mir den Ge¬
fallen und geh' zu den Wahlen! Es iſt ein
wahrer Skandal, wenn Niemand geht aus der
Stadt!«

»Das fehlte auch noch, erwiederte Fritz un¬
geduldig, jetzt abermals bei dieſem Wetter, in
der langweiligen Kirche zu ſitzen und Stimm¬
zettel umherzubieten. Natürlich wirſt Du dann
für den Nachmittag ſchon irgend ein Leichenbe¬
gängniß in Bereitſchaft haben, wo ich wieder
mithumpeln ſoll, damit der Tag ja ganz ver¬
ſchleudert werde! Daß ihr Weibsleute Unſer¬
einen immer an Begräbniſſe und Kindertaufen
hinſpedirt, iſt begreiflich; daß ihr euch aber ſo
ſehr um die Politik bekümmert, iſt mir ganz
etwas Neues!«

»Schande genug, ſagte ſie, daß die Frauen
euch vermahnen ſollen, zu thun, was ſich gebührt
und was eine verſchworne Pflicht und Schul¬
digkeit iſt!«

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[188/0200] und wollte ſich wieder wegmachen. Sie ergriff ihn aber bei der Hand und führte ihn etwas zur Seite, indem ſie ſagte: »Hier habe ich Dir Rock und Hut gebracht, nun thu' mir den Ge¬ fallen und geh' zu den Wahlen! Es iſt ein wahrer Skandal, wenn Niemand geht aus der Stadt!« »Das fehlte auch noch, erwiederte Fritz un¬ geduldig, jetzt abermals bei dieſem Wetter, in der langweiligen Kirche zu ſitzen und Stimm¬ zettel umherzubieten. Natürlich wirſt Du dann für den Nachmittag ſchon irgend ein Leichenbe¬ gängniß in Bereitſchaft haben, wo ich wieder mithumpeln ſoll, damit der Tag ja ganz ver¬ ſchleudert werde! Daß ihr Weibsleute Unſer¬ einen immer an Begräbniſſe und Kindertaufen hinſpedirt, iſt begreiflich; daß ihr euch aber ſo ſehr um die Politik bekümmert, iſt mir ganz etwas Neues!« »Schande genug, ſagte ſie, daß die Frauen euch vermahnen ſollen, zu thun, was ſich gebührt und was eine verſchworne Pflicht und Schul¬ digkeit iſt!« »Ei ſo thue doch nicht ſo, erwiederte Fritz,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/200>, abgerufen am 25.11.2024.