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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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zahlreiche Arbeiter, welchen Fritz längst ohne
Werkführer vorstand, und zu oberst, wo grünes
Buchenholz die frischen weißen Brüche krönte,
erkannte sie ihn jetzt selbst an seinem weißeren
Hemde, da er Weste und Jacke weggeworfen,
wie er mit einem Trüppchen Leute die Köpfe
zusammensteckte über einem Punkte. Gleichzeitig
aber sah man sie und rief ihr zu, sich in
Acht zu nehmen. Sie duckte sich unter einen
Felsen, worauf in der Höhe nach einer klei¬
nen Stille ein starker Schlag erfolgte und
eine Menge kleiner Steine und Erde rings her¬
nieder regneten. "Da glaubt er nun, sagte sie
zu sich selbst, was er für Heldenwerk verrichtet,
wenn er hier Steine gen Himmel sprengt, statt
seine Pflicht als Bürger zu thun!" Als sie
oben ankam und verschnaufte, schien er, nachdem
er flüchtig auf den Rock und Hut geschielt, den
sie trug, sie nicht zu bemerken, sondern unter¬
suchte eifrig die Löcher, die er eben gesprengt,
und fuhr mit dem Zollstock an den Steinen
herum. Als er sie aber nicht mehr vermeiden
konnte, sagte er: "Guten Tag, Mutter! Spa¬
zierest ein wenig? Schön ist das Wetter dazu!"

zahlreiche Arbeiter, welchen Fritz längſt ohne
Werkführer vorſtand, und zu oberſt, wo grünes
Buchenholz die friſchen weißen Brüche krönte,
erkannte ſie ihn jetzt ſelbſt an ſeinem weißeren
Hemde, da er Weſte und Jacke weggeworfen,
wie er mit einem Trüppchen Leute die Köpfe
zuſammenſteckte über einem Punkte. Gleichzeitig
aber ſah man ſie und rief ihr zu, ſich in
Acht zu nehmen. Sie duckte ſich unter einen
Felſen, worauf in der Höhe nach einer klei¬
nen Stille ein ſtarker Schlag erfolgte und
eine Menge kleiner Steine und Erde rings her¬
nieder regneten. »Da glaubt er nun, ſagte ſie
zu ſich ſelbſt, was er für Heldenwerk verrichtet,
wenn er hier Steine gen Himmel ſprengt, ſtatt
ſeine Pflicht als Bürger zu thun!« Als ſie
oben ankam und verſchnaufte, ſchien er, nachdem
er flüchtig auf den Rock und Hut geſchielt, den
ſie trug, ſie nicht zu bemerken, ſondern unter¬
ſuchte eifrig die Löcher, die er eben geſprengt,
und fuhr mit dem Zollſtock an den Steinen
herum. Als er ſie aber nicht mehr vermeiden
konnte, ſagte er: »Guten Tag, Mutter! Spa¬
ziereſt ein wenig? Schön iſt das Wetter dazu!«

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[187/0199] zahlreiche Arbeiter, welchen Fritz längſt ohne Werkführer vorſtand, und zu oberſt, wo grünes Buchenholz die friſchen weißen Brüche krönte, erkannte ſie ihn jetzt ſelbſt an ſeinem weißeren Hemde, da er Weſte und Jacke weggeworfen, wie er mit einem Trüppchen Leute die Köpfe zuſammenſteckte über einem Punkte. Gleichzeitig aber ſah man ſie und rief ihr zu, ſich in Acht zu nehmen. Sie duckte ſich unter einen Felſen, worauf in der Höhe nach einer klei¬ nen Stille ein ſtarker Schlag erfolgte und eine Menge kleiner Steine und Erde rings her¬ nieder regneten. »Da glaubt er nun, ſagte ſie zu ſich ſelbſt, was er für Heldenwerk verrichtet, wenn er hier Steine gen Himmel ſprengt, ſtatt ſeine Pflicht als Bürger zu thun!« Als ſie oben ankam und verſchnaufte, ſchien er, nachdem er flüchtig auf den Rock und Hut geſchielt, den ſie trug, ſie nicht zu bemerken, ſondern unter¬ ſuchte eifrig die Löcher, die er eben geſprengt, und fuhr mit dem Zollſtock an den Steinen herum. Als er ſie aber nicht mehr vermeiden konnte, ſagte er: »Guten Tag, Mutter! Spa¬ ziereſt ein wenig? Schön iſt das Wetter dazu!«

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/199>, abgerufen am 25.11.2024.