Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

lachend und gab ihm einen Kuß. Er sagte aber
kein Wort mehr, und es zeigte sich von nun an,
daß er in dem Gefängniß in der That etwas
gelernt habe.

Denn er hielt sich in seinem Wesen jetzt
viel ernster und geschlossener zusammen und ge¬
rieth nie wieder in Versuchung, durch eine
unrechtmäßige oder leichtsinnige Thatlust eine Ge¬
walt herauszufordern und seine Person in ihre
Hand zu geben zu seiner Schmach und niemand
zum Nutzen. Er nahm sich nicht gerade vor,
nie mehr auszuziehen, da die Ereignisse nicht
zum Voraus gezählt werden können und Niemand
seinem Blut gebieten kann, stille zu stehn, wenn
es rascher fließt, aber er war nun sicher vor
jeder nur äußerlichen und unbedachten Kampflust.
Diese Erfahrung wirkte überhaupt dermaßen auf
den jungen Mann, daß er mit verdoppeltem
Fortschritt an Tüchtigkeit in allen Dingen zuzu¬
nehmen schien, und den Dingen schon mit voller
Männlichkeit vorstand, als er kaum zwanzig Jahre
alt war. Frau Amrain gab ihm desnahen nun
die junge Frau, welche er wünschte, und nach
Verlauf eines Jahres, als er bereits ein kleines

lachend und gab ihm einen Kuß. Er ſagte aber
kein Wort mehr, und es zeigte ſich von nun an,
daß er in dem Gefängniß in der That etwas
gelernt habe.

Denn er hielt ſich in ſeinem Weſen jetzt
viel ernſter und geſchloſſener zuſammen und ge¬
rieth nie wieder in Verſuchung, durch eine
unrechtmäßige oder leichtſinnige Thatluſt eine Ge¬
walt herauszufordern und ſeine Perſon in ihre
Hand zu geben zu ſeiner Schmach und niemand
zum Nutzen. Er nahm ſich nicht gerade vor,
nie mehr auszuziehen, da die Ereigniſſe nicht
zum Voraus gezählt werden können und Niemand
ſeinem Blut gebieten kann, ſtille zu ſtehn, wenn
es raſcher fließt, aber er war nun ſicher vor
jeder nur äußerlichen und unbedachten Kampfluſt.
Dieſe Erfahrung wirkte überhaupt dermaßen auf
den jungen Mann, daß er mit verdoppeltem
Fortſchritt an Tüchtigkeit in allen Dingen zuzu¬
nehmen ſchien, und den Dingen ſchon mit voller
Männlichkeit vorſtand, als er kaum zwanzig Jahre
alt war. Frau Amrain gab ihm desnahen nun
die junge Frau, welche er wünſchte, und nach
Verlauf eines Jahres, als er bereits ein kleines

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0193" n="181"/>
lachend und gab ihm einen Kuß. Er &#x017F;agte aber<lb/>
kein Wort mehr, und es zeigte &#x017F;ich von nun an,<lb/>
daß er in dem Gefängniß in der That etwas<lb/>
gelernt habe.</p><lb/>
        <p>Denn er hielt &#x017F;ich in &#x017F;einem We&#x017F;en jetzt<lb/>
viel ern&#x017F;ter und ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener zu&#x017F;ammen und ge¬<lb/>
rieth nie wieder in Ver&#x017F;uchung, durch eine<lb/>
unrechtmäßige oder leicht&#x017F;innige Thatlu&#x017F;t eine Ge¬<lb/>
walt herauszufordern und &#x017F;eine Per&#x017F;on in ihre<lb/>
Hand zu geben zu &#x017F;einer Schmach und niemand<lb/>
zum Nutzen. Er nahm &#x017F;ich nicht gerade vor,<lb/>
nie mehr auszuziehen, da die Ereigni&#x017F;&#x017F;e nicht<lb/>
zum Voraus gezählt werden können und Niemand<lb/>
&#x017F;einem Blut gebieten kann, &#x017F;tille zu &#x017F;tehn, wenn<lb/>
es ra&#x017F;cher fließt, aber er war nun &#x017F;icher vor<lb/>
jeder nur äußerlichen und unbedachten Kampflu&#x017F;t.<lb/>
Die&#x017F;e Erfahrung wirkte überhaupt dermaßen auf<lb/>
den jungen Mann, daß er mit verdoppeltem<lb/>
Fort&#x017F;chritt an Tüchtigkeit in allen Dingen zuzu¬<lb/>
nehmen &#x017F;chien, und den Dingen &#x017F;chon mit voller<lb/>
Männlichkeit vor&#x017F;tand, als er kaum zwanzig Jahre<lb/>
alt war. Frau Amrain gab ihm desnahen nun<lb/>
die junge Frau, welche er wün&#x017F;chte, und nach<lb/>
Verlauf eines Jahres, als er bereits ein kleines<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0193] lachend und gab ihm einen Kuß. Er ſagte aber kein Wort mehr, und es zeigte ſich von nun an, daß er in dem Gefängniß in der That etwas gelernt habe. Denn er hielt ſich in ſeinem Weſen jetzt viel ernſter und geſchloſſener zuſammen und ge¬ rieth nie wieder in Verſuchung, durch eine unrechtmäßige oder leichtſinnige Thatluſt eine Ge¬ walt herauszufordern und ſeine Perſon in ihre Hand zu geben zu ſeiner Schmach und niemand zum Nutzen. Er nahm ſich nicht gerade vor, nie mehr auszuziehen, da die Ereigniſſe nicht zum Voraus gezählt werden können und Niemand ſeinem Blut gebieten kann, ſtille zu ſtehn, wenn es raſcher fließt, aber er war nun ſicher vor jeder nur äußerlichen und unbedachten Kampfluſt. Dieſe Erfahrung wirkte überhaupt dermaßen auf den jungen Mann, daß er mit verdoppeltem Fortſchritt an Tüchtigkeit in allen Dingen zuzu¬ nehmen ſchien, und den Dingen ſchon mit voller Männlichkeit vorſtand, als er kaum zwanzig Jahre alt war. Frau Amrain gab ihm desnahen nun die junge Frau, welche er wünſchte, und nach Verlauf eines Jahres, als er bereits ein kleines

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/193
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/193>, abgerufen am 26.11.2024.