schob sie lächelnd ihre Abreise noch um einige Tage auf, und erst als der eingepferchte That¬ kräftige volle vierzehn Tage gesessen, nahm sie ein Gefährt, packte die Erlösungsgelder nebst frischer Wäsche und guten Kleidern ein und begab sich auf den Weg. Als sie aber ankam, ver¬ nahm sie, daß ehestens eine Amnestie ausgespro¬ chen würde über alle, die nicht ausgezeichnete Rädelsführer seien, und besonders über die Frem¬ den, da man diese nicht unnütz zu füttern ge¬ dachte und jetzt keine eingehenden Gelder mehr erwartete. Da wartete sie noch zwei oder drei Tage in einem Gasthofe, bereit ihren Sohn jeden Augenblick zu erlösen, der übrigens seiner Ju¬ gend wegen nicht sehr beachtet wurde. Die Amnestie wurde auch wirklich verkündet, da dies¬ mal die siegende Partei aus Sparsamkeit die wahre Weise befolgte: im Siege selbst, und nicht in der Rache oder Strafe, ihr Bewußtsein und ihre Genugthuung zu finden. So fand denn der verzweifelte Fritz seine Mutter an der Pforte des Gefängnisses seiner harrend. Sie speis'te und tränkte ihn, gab ihm neue Kleider und fuhr mit ihm nebst der geretteten Bürgschaft von dannen.
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ſchob ſie lächelnd ihre Abreiſe noch um einige Tage auf, und erſt als der eingepferchte That¬ kräftige volle vierzehn Tage geſeſſen, nahm ſie ein Gefährt, packte die Erlöſungsgelder nebſt friſcher Wäſche und guten Kleidern ein und begab ſich auf den Weg. Als ſie aber ankam, ver¬ nahm ſie, daß eheſtens eine Amneſtie ausgeſpro¬ chen würde über alle, die nicht ausgezeichnete Rädelsführer ſeien, und beſonders über die Frem¬ den, da man dieſe nicht unnütz zu füttern ge¬ dachte und jetzt keine eingehenden Gelder mehr erwartete. Da wartete ſie noch zwei oder drei Tage in einem Gaſthofe, bereit ihren Sohn jeden Augenblick zu erlöſen, der übrigens ſeiner Ju¬ gend wegen nicht ſehr beachtet wurde. Die Amneſtie wurde auch wirklich verkündet, da dies¬ mal die ſiegende Partei aus Sparſamkeit die wahre Weiſe befolgte: im Siege ſelbſt, und nicht in der Rache oder Strafe, ihr Bewußtſein und ihre Genugthuung zu finden. So fand denn der verzweifelte Fritz ſeine Mutter an der Pforte des Gefängniſſes ſeiner harrend. Sie ſpeiſ'te und tränkte ihn, gab ihm neue Kleider und fuhr mit ihm nebſt der geretteten Bürgſchaft von dannen.
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ſchob ſie lächelnd ihre Abreiſe noch um einige
Tage auf, und erſt als der eingepferchte That¬
kräftige volle vierzehn Tage geſeſſen, nahm ſie
ein Gefährt, packte die Erlöſungsgelder nebſt
friſcher Wäſche und guten Kleidern ein und begab
ſich auf den Weg. Als ſie aber ankam, ver¬
nahm ſie, daß eheſtens eine Amneſtie ausgeſpro¬
chen würde über alle, die nicht ausgezeichnete
Rädelsführer ſeien, und beſonders über die Frem¬
den, da man dieſe nicht unnütz zu füttern ge¬
dachte und jetzt keine eingehenden Gelder mehr
erwartete. Da wartete ſie noch zwei oder drei
Tage in einem Gaſthofe, bereit ihren Sohn jeden
Augenblick zu erlöſen, der übrigens ſeiner Ju¬
gend wegen nicht ſehr beachtet wurde. Die
Amneſtie wurde auch wirklich verkündet, da dies¬
mal die ſiegende Partei aus Sparſamkeit die
wahre Weiſe befolgte: im Siege ſelbſt, und nicht
in der Rache oder Strafe, ihr Bewußtſein und
ihre Genugthuung zu finden. So fand denn der
verzweifelte Fritz ſeine Mutter an der Pforte des
Gefängniſſes ſeiner harrend. Sie ſpeiſ'te und
tränkte ihn, gab ihm neue Kleider und fuhr mit
ihm nebſt der geretteten Bürgſchaft von dannen.
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/191>, abgerufen am 26.11.2024.
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