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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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waren, wenn die Umstände und die persönliche
Rüstigkeit es erlaubten, gleich wie ein Dieb die
beredteste Entrüstung verlauten läßt, wenn ein
Kleinod, das er selbst gestohlen, ihm abermals
entfremdet wird. Denn der Mensch trägt die
unbefangene Schamlosigkeit des Thieres gerade¬
wegs in das moralische Gebiet hinüber und ge¬
berdet sich da im guten Glauben an das nütz¬
liche Recht seiner Willkür so naiv, wie die Hünd¬
lein auf den Gassen. Die gefangenen Frei¬
schärler mußten indessen alles über sich ergehen
lassen und waren nur bedacht, durch keinerlei
Herausforderung eine körperliche Mißhandlung
zu veranlassen. Dies war das Einzige, was sie
thun konnten, und die Älteren und Erfahrenern
unter ihnen ertrugen das Übel mit möglichstem
Humor, da sie voraussahen, daß die Sache nicht
so gefährlich abliefe, als sie schien. Der Eine
oder Andere merkte sich ein schimpfendes Bäuer¬
lein, das in seinem Laden etwa eine Sense oder
ein Maß Kleesamen gekauft und schuldig geblie¬
ben war und gedachte, demselben seiner Zeit seine
beißenden Anmerkungen mit Zinsen zurückzugeben,
und wenn ein solches Bäuerlein solchen Blick

waren, wenn die Umſtände und die perſönliche
Rüſtigkeit es erlaubten, gleich wie ein Dieb die
beredteſte Entrüſtung verlauten läßt, wenn ein
Kleinod, das er ſelbſt geſtohlen, ihm abermals
entfremdet wird. Denn der Menſch trägt die
unbefangene Schamloſigkeit des Thieres gerade¬
wegs in das moraliſche Gebiet hinüber und ge¬
berdet ſich da im guten Glauben an das nütz¬
liche Recht ſeiner Willkür ſo naiv, wie die Hünd¬
lein auf den Gaſſen. Die gefangenen Frei¬
ſchärler mußten indeſſen alles über ſich ergehen
laſſen und waren nur bedacht, durch keinerlei
Herausforderung eine körperliche Mißhandlung
zu veranlaſſen. Dies war das Einzige, was ſie
thun konnten, und die Älteren und Erfahrenern
unter ihnen ertrugen das Übel mit möglichſtem
Humor, da ſie vorausſahen, daß die Sache nicht
ſo gefährlich abliefe, als ſie ſchien. Der Eine
oder Andere merkte ſich ein ſchimpfendes Bäuer¬
lein, das in ſeinem Laden etwa eine Senſe oder
ein Maß Kleeſamen gekauft und ſchuldig geblie¬
ben war und gedachte, demſelben ſeiner Zeit ſeine
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[173/0185] waren, wenn die Umſtände und die perſönliche Rüſtigkeit es erlaubten, gleich wie ein Dieb die beredteſte Entrüſtung verlauten läßt, wenn ein Kleinod, das er ſelbſt geſtohlen, ihm abermals entfremdet wird. Denn der Menſch trägt die unbefangene Schamloſigkeit des Thieres gerade¬ wegs in das moraliſche Gebiet hinüber und ge¬ berdet ſich da im guten Glauben an das nütz¬ liche Recht ſeiner Willkür ſo naiv, wie die Hünd¬ lein auf den Gaſſen. Die gefangenen Frei¬ ſchärler mußten indeſſen alles über ſich ergehen laſſen und waren nur bedacht, durch keinerlei Herausforderung eine körperliche Mißhandlung zu veranlaſſen. Dies war das Einzige, was ſie thun konnten, und die Älteren und Erfahrenern unter ihnen ertrugen das Übel mit möglichſtem Humor, da ſie vorausſahen, daß die Sache nicht ſo gefährlich abliefe, als ſie ſchien. Der Eine oder Andere merkte ſich ein ſchimpfendes Bäuer¬ lein, das in ſeinem Laden etwa eine Senſe oder ein Maß Kleeſamen gekauft und ſchuldig geblie¬ ben war und gedachte, demſelben ſeiner Zeit ſeine beißenden Anmerkungen mit Zinſen zurückzugeben, und wenn ein ſolches Bäuerlein ſolchen Blick

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/185>, abgerufen am 27.11.2024.