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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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ewig herumzerrte und jene kindische Manier an¬
nahm, durch blindes Behaupten sich selbst zu
betäuben und zu thun, als ob es wirklich so
gehen müsse, wie man wünscht und behauptet,
da sagte seine Mutter ein einziges Mal, als er
eben im schönsten Eifer war, ganz unerwartet:
"Was ist denn das für ein ewiges Schwatzen
und Kannegießern? Ich mag das nicht hören!
Wenn Du es nicht lassen kannst, so geh' auf
die Gasse oder in's Wirthshaus, hier in der
Stube will ich den Lärm nicht haben!"

Dies war ein Wort zur rechten Zeit gespro¬
chen; Fritz blieb mit seiner also durchschnittenen
Rede ganz verblüfft stecken und wußte gar nichts
zu sagen. Er ging hinaus und indem er über
dies wunderliche Ereigniß nachgrübelte, fing er
an sich zu schämen, so daß er erst eine gute
halbe Stunde nachher roth wurde bis hinter die
Ohren, von Stund an geheilt war und seine
Politik mit weniger Worten und mehr Gedanken
abzumachen sich gewöhnte. So gut traf ihn der
einmalige Vorwurf aus Frauenmund, ein Schwä¬
tzer und Kannegießer zu sein.

Um so größer erwies sich nun die dritte,

ewig herumzerrte und jene kindiſche Manier an¬
nahm, durch blindes Behaupten ſich ſelbſt zu
betäuben und zu thun, als ob es wirklich ſo
gehen müſſe, wie man wünſcht und behauptet,
da ſagte ſeine Mutter ein einziges Mal, als er
eben im ſchönſten Eifer war, ganz unerwartet:
»Was iſt denn das für ein ewiges Schwatzen
und Kannegießern? Ich mag das nicht hören!
Wenn Du es nicht laſſen kannſt, ſo geh' auf
die Gaſſe oder in's Wirthshaus, hier in der
Stube will ich den Lärm nicht haben!«

Dies war ein Wort zur rechten Zeit geſpro¬
chen; Fritz blieb mit ſeiner alſo durchſchnittenen
Rede ganz verblüfft ſtecken und wußte gar nichts
zu ſagen. Er ging hinaus und indem er über
dies wunderliche Ereigniß nachgrübelte, fing er
an ſich zu ſchämen, ſo daß er erſt eine gute
halbe Stunde nachher roth wurde bis hinter die
Ohren, von Stund an geheilt war und ſeine
Politik mit weniger Worten und mehr Gedanken
abzumachen ſich gewöhnte. So gut traf ihn der
einmalige Vorwurf aus Frauenmund, ein Schwä¬
tzer und Kannegießer zu ſein.

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[159/0171] ewig herumzerrte und jene kindiſche Manier an¬ nahm, durch blindes Behaupten ſich ſelbſt zu betäuben und zu thun, als ob es wirklich ſo gehen müſſe, wie man wünſcht und behauptet, da ſagte ſeine Mutter ein einziges Mal, als er eben im ſchönſten Eifer war, ganz unerwartet: »Was iſt denn das für ein ewiges Schwatzen und Kannegießern? Ich mag das nicht hören! Wenn Du es nicht laſſen kannſt, ſo geh' auf die Gaſſe oder in's Wirthshaus, hier in der Stube will ich den Lärm nicht haben!« Dies war ein Wort zur rechten Zeit geſpro¬ chen; Fritz blieb mit ſeiner alſo durchſchnittenen Rede ganz verblüfft ſtecken und wußte gar nichts zu ſagen. Er ging hinaus und indem er über dies wunderliche Ereigniß nachgrübelte, fing er an ſich zu ſchämen, ſo daß er erſt eine gute halbe Stunde nachher roth wurde bis hinter die Ohren, von Stund an geheilt war und ſeine Politik mit weniger Worten und mehr Gedanken abzumachen ſich gewöhnte. So gut traf ihn der einmalige Vorwurf aus Frauenmund, ein Schwä¬ tzer und Kannegießer zu ſein. Um ſo größer erwies ſich nun die dritte,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/171>, abgerufen am 28.11.2024.