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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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keit merken ließ, wie sehr sie es liebte und
dadurch dessen Bedürfniß, ihr immer zu gefallen,
erweckte und erreichte, daß es bei jeder Gele¬
genheit an sie dachte. Ohne dessen freie Bewe¬
gungen einzeln zu hindern, hatte sie den Kleinen
viel um sich, so daß er ihre Manieren und ihre
Denkungsart annahm und bald von selbst nichts
that, was nicht im Geschmacke der Mutter lag.
Sie hielt ihn stets einfach, aber gut und mit
einem gewissen gewählten Geschmack in der Klei¬
dung; dadurch fühlte er sich sicher, bequem und
zufrieden in seinem Anzuge und wurde nie ver¬
anlaßt, an denselben zu denken, wurde mithin
nicht eitel und lernte gar nie die Sucht kennen,
sich besser oder anders zu kleiden, als er eben
war. Ähnlich hielt sie es mit dem Essen; sie
erfüllte alle billigen und unschädlichen Wünsche
aller drei Kinder und Niemand bekam in ihrem
Hause etwas zu essen, wovon diese nicht auch
ihren Theil erhielten; aber trotz aller Regelmä¬
ßigkeit und Ausgiebigkeit behandelte sie die Nah¬
rungsmittel mit solcher Leichtigkeit und Gering¬
schätzung, daß Fritzchen abermals von selbst lernte,
kein besonderes Gewicht auf dieselben zu legen

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 9

keit merken ließ, wie ſehr ſie es liebte und
dadurch deſſen Bedürfniß, ihr immer zu gefallen,
erweckte und erreichte, daß es bei jeder Gele¬
genheit an ſie dachte. Ohne deſſen freie Bewe¬
gungen einzeln zu hindern, hatte ſie den Kleinen
viel um ſich, ſo daß er ihre Manieren und ihre
Denkungsart annahm und bald von ſelbſt nichts
that, was nicht im Geſchmacke der Mutter lag.
Sie hielt ihn ſtets einfach, aber gut und mit
einem gewiſſen gewählten Geſchmack in der Klei¬
dung; dadurch fühlte er ſich ſicher, bequem und
zufrieden in ſeinem Anzuge und wurde nie ver¬
anlaßt, an denſelben zu denken, wurde mithin
nicht eitel und lernte gar nie die Sucht kennen,
ſich beſſer oder anders zu kleiden, als er eben
war. Ähnlich hielt ſie es mit dem Eſſen; ſie
erfüllte alle billigen und unſchädlichen Wünſche
aller drei Kinder und Niemand bekam in ihrem
Hauſe etwas zu eſſen, wovon dieſe nicht auch
ihren Theil erhielten; aber trotz aller Regelmä¬
ßigkeit und Ausgiebigkeit behandelte ſie die Nah¬
rungsmittel mit ſolcher Leichtigkeit und Gering¬
ſchätzung, daß Fritzchen abermals von ſelbſt lernte,
kein beſonderes Gewicht auf dieſelben zu legen

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[129/0141] keit merken ließ, wie ſehr ſie es liebte und dadurch deſſen Bedürfniß, ihr immer zu gefallen, erweckte und erreichte, daß es bei jeder Gele¬ genheit an ſie dachte. Ohne deſſen freie Bewe¬ gungen einzeln zu hindern, hatte ſie den Kleinen viel um ſich, ſo daß er ihre Manieren und ihre Denkungsart annahm und bald von ſelbſt nichts that, was nicht im Geſchmacke der Mutter lag. Sie hielt ihn ſtets einfach, aber gut und mit einem gewiſſen gewählten Geſchmack in der Klei¬ dung; dadurch fühlte er ſich ſicher, bequem und zufrieden in ſeinem Anzuge und wurde nie ver¬ anlaßt, an denſelben zu denken, wurde mithin nicht eitel und lernte gar nie die Sucht kennen, ſich beſſer oder anders zu kleiden, als er eben war. Ähnlich hielt ſie es mit dem Eſſen; ſie erfüllte alle billigen und unſchädlichen Wünſche aller drei Kinder und Niemand bekam in ihrem Hauſe etwas zu eſſen, wovon dieſe nicht auch ihren Theil erhielten; aber trotz aller Regelmä¬ ßigkeit und Ausgiebigkeit behandelte ſie die Nah¬ rungsmittel mit ſolcher Leichtigkeit und Gering¬ ſchätzung, daß Fritzchen abermals von ſelbſt lernte, kein beſonderes Gewicht auf dieſelben zu legen Keller, die Leute von Seldwyla. I. 9

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/141>, abgerufen am 12.12.2024.