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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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zu, bester Herr Pankrazius, und so werden die¬
jenigen bestraft, die sich vergehen im Reiche der
Königin Schönheit!"

"Das heißt," sagte ich, "es scheint dies Reich
eher einer Zigeunerbande zu gleichen. Wie kön¬
nen Sie eine Feder auf den Hut stecken, die Sie
gestohlen haben, wie eine gemeine Ladendiebin?
gegen den Willen des Eigenthümers?"

Sie antwortete: "Auf diesem Felde, bester
Herr Eigenthümer, gereicht der Diebstahl der
Diebin zum Ruhm, und Ihr Zorn beweist nur
auf's Neue, wie gut ich Sie getroffen habe!"

So zankten wir noch eine gute halbe Stunde
herum in dem süßen Orangenhaine, aber mit
bittern harten Worten, und ich suchte vergeblich
ihr begreiflich zu machen, wie diese abgestohlene
und erschlichene Liebesgeschichte durchaus nicht den
Werth für sie haben könnte, den sie ihr beilegte.
Ich führte diesen Beweis wahrlich nicht aus phi¬
listerhafter Verletztheit und Grobheit, sondern um
irgend einen Funken vom Gefühl ihres Unrechtes
und der Unsittlichkeit ihrer Handlungsweise in
ihr zu erwecken. Aber umsonst! Sie wollte
nicht einsehen, daß eine rechte Gemüthsverfassung

zu, beſter Herr Pankrazius, und ſo werden die¬
jenigen beſtraft, die ſich vergehen im Reiche der
Königin Schönheit!«

»Das heißt,« ſagte ich, »es ſcheint dies Reich
eher einer Zigeunerbande zu gleichen. Wie kön¬
nen Sie eine Feder auf den Hut ſtecken, die Sie
geſtohlen haben, wie eine gemeine Ladendiebin?
gegen den Willen des Eigenthümers?«

Sie antwortete: »Auf dieſem Felde, beſter
Herr Eigenthümer, gereicht der Diebſtahl der
Diebin zum Ruhm, und Ihr Zorn beweiſt nur
auf's Neue, wie gut ich Sie getroffen habe!«

So zankten wir noch eine gute halbe Stunde
herum in dem ſüßen Orangenhaine, aber mit
bittern harten Worten, und ich ſuchte vergeblich
ihr begreiflich zu machen, wie dieſe abgeſtohlene
und erſchlichene Liebesgeſchichte durchaus nicht den
Werth für ſie haben könnte, den ſie ihr beilegte.
Ich führte dieſen Beweis wahrlich nicht aus phi¬
liſterhafter Verletztheit und Grobheit, ſondern um
irgend einen Funken vom Gefühl ihres Unrechtes
und der Unſittlichkeit ihrer Handlungsweiſe in
ihr zu erwecken. Aber umſonſt! Sie wollte
nicht einſehen, daß eine rechte Gemüthsverfaſſung

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[88/0100] zu, beſter Herr Pankrazius, und ſo werden die¬ jenigen beſtraft, die ſich vergehen im Reiche der Königin Schönheit!« »Das heißt,« ſagte ich, »es ſcheint dies Reich eher einer Zigeunerbande zu gleichen. Wie kön¬ nen Sie eine Feder auf den Hut ſtecken, die Sie geſtohlen haben, wie eine gemeine Ladendiebin? gegen den Willen des Eigenthümers?« Sie antwortete: »Auf dieſem Felde, beſter Herr Eigenthümer, gereicht der Diebſtahl der Diebin zum Ruhm, und Ihr Zorn beweiſt nur auf's Neue, wie gut ich Sie getroffen habe!« So zankten wir noch eine gute halbe Stunde herum in dem ſüßen Orangenhaine, aber mit bittern harten Worten, und ich ſuchte vergeblich ihr begreiflich zu machen, wie dieſe abgeſtohlene und erſchlichene Liebesgeſchichte durchaus nicht den Werth für ſie haben könnte, den ſie ihr beilegte. Ich führte dieſen Beweis wahrlich nicht aus phi¬ liſterhafter Verletztheit und Grobheit, ſondern um irgend einen Funken vom Gefühl ihres Unrechtes und der Unſittlichkeit ihrer Handlungsweiſe in ihr zu erwecken. Aber umſonſt! Sie wollte nicht einſehen, daß eine rechte Gemüthsverfaſſung

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/100>, abgerufen am 22.11.2024.