Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.ihren weltlichen Staat in die nämlichen Truhen, aus So wallte sie unverdrossen, bis sie wieder vor der ihren weltlichen Staat in die nämlichen Truhen, aus So wallte ſie unverdroſſen, bis ſie wieder vor der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0092" n="78"/> ihren weltlichen Staat in die nämlichen Truhen, aus<lb/> denen er einſt genommen worden, und verſchloß die¬<lb/> ſelben, die Schlüſſel an die Seite des Schlafenden<lb/> legend. Dann ging ſie mit bloßen Füßen vor das<lb/> Lager ihrer Söhne und küßte leiſe einen nach dem<lb/> andern; zuletzt ging ſie wieder an das Bett ihres<lb/> Mannes, küßte denſelben auch, und erſt jetzt ſchnitt<lb/> ſie ſich das lange Haar vom Haupt, zog das dunkle<lb/> Nonnengewand wieder an, welches ſie ſorgfältig auf¬<lb/> bewahrt hatte, und ſo verließ ſie heimlich die Burg<lb/> und wanderte durch die brauſenden Winde der Herbſt¬<lb/> nacht und durch das fallende Laub jenem Kloſter zu,<lb/> welchem ſie einſt entflohen war. Unermüdlich ließ<lb/> ſie die Kugeln ihres Roſenkranzes durch die Finger<lb/> rollen und überdachte betend das genoſſene Leben.</p><lb/> <p>So wallte ſie unverdroſſen, bis ſie wieder vor der<lb/> Kloſterpforte ſtand. Als ſie anklopfte, that die ge¬<lb/> alterte Pförtnerin auf und grüßte ſie gleichgiltig mit<lb/> ihrem Namen, als ob ſie kaum eine halbe Stunde<lb/> abweſend geblieben wäre. Beatrix ging an ihr vor¬<lb/> über in die Kirche, warf ſich vor dem Altar der hei¬<lb/> ligen Jungfrau auf die Kniee und dieſe begann zu<lb/> ſprechen und ſagte: „Du biſt ein bischen lange weg¬<lb/> geblieben, meine Tochter! Ich habe die ganze Zeit<lb/> deinen Dienſt als Küſterin verſehen; jetzt bin ich aber doch<lb/> froh, daß du da biſt und die Schlüſſel wieder übernimmſt!“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [78/0092]
ihren weltlichen Staat in die nämlichen Truhen, aus
denen er einſt genommen worden, und verſchloß die¬
ſelben, die Schlüſſel an die Seite des Schlafenden
legend. Dann ging ſie mit bloßen Füßen vor das
Lager ihrer Söhne und küßte leiſe einen nach dem
andern; zuletzt ging ſie wieder an das Bett ihres
Mannes, küßte denſelben auch, und erſt jetzt ſchnitt
ſie ſich das lange Haar vom Haupt, zog das dunkle
Nonnengewand wieder an, welches ſie ſorgfältig auf¬
bewahrt hatte, und ſo verließ ſie heimlich die Burg
und wanderte durch die brauſenden Winde der Herbſt¬
nacht und durch das fallende Laub jenem Kloſter zu,
welchem ſie einſt entflohen war. Unermüdlich ließ
ſie die Kugeln ihres Roſenkranzes durch die Finger
rollen und überdachte betend das genoſſene Leben.
So wallte ſie unverdroſſen, bis ſie wieder vor der
Kloſterpforte ſtand. Als ſie anklopfte, that die ge¬
alterte Pförtnerin auf und grüßte ſie gleichgiltig mit
ihrem Namen, als ob ſie kaum eine halbe Stunde
abweſend geblieben wäre. Beatrix ging an ihr vor¬
über in die Kirche, warf ſich vor dem Altar der hei¬
ligen Jungfrau auf die Kniee und dieſe begann zu
ſprechen und ſagte: „Du biſt ein bischen lange weg¬
geblieben, meine Tochter! Ich habe die ganze Zeit
deinen Dienſt als Küſterin verſehen; jetzt bin ich aber doch
froh, daß du da biſt und die Schlüſſel wieder übernimmſt!“
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