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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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Beatrix, welche dem Spiele vergnügt zugeschaut
hatte, erbleichte, und mit Recht; denn der alsobald er¬
folgende Wurf ließ den Uebermüthigen im Stich und
gab dem Baron gewonnen.

Der säumte nicht, sondern brach augenblicklich
auf mit seinem süßen Gewinnst und mit seinem Ge¬
folge; kaum fand Beatrix noch Zeit, die unglücklichen
Würfel an sich zu nehmen und in ihrem Busen zu
verbergen, worauf sie unter strömenden Thränen dem
rücksichtslosen Gewinner folgte.

Als der kleine Zug einige Stunden geritten war,
gelangte er in ein anmuthiges Gehölz von jungen
Buchen, durch welches ein klarer Bach floß. Wie
ein leichtes grünes Seidenzelt schwebte die zarte Be¬
laubung in der Höhe, von den schlanken Silberstan¬
gen emporgehalten, und die offene Sommerlandschaft
schaute darunter herein. Hier wollte der Baron mit
seiner Beute ausruhen. Er hieß seine Leute ein
Stück vorwärts fahren, indessen er sich mit Beatrixen
in der luftigen Grüne niederließ und sie mit Lieb¬
kosungen an sich ziehen wollte.

Da erhob sie sich stolz und indem sie einen flam¬
menden Blick auf ihn warf, rief sie: wohl habe er
ihre Person gewonnen, nicht aber ihr Herz, welches
nicht für ein altes Gemäuer zu gewinnen sei. Sei
er ein Mann, so solle er etwas Rechtes dagegen ein¬

Beatrix, welche dem Spiele vergnügt zugeſchaut
hatte, erbleichte, und mit Recht; denn der alſobald er¬
folgende Wurf ließ den Uebermüthigen im Stich und
gab dem Baron gewonnen.

Der ſäumte nicht, ſondern brach augenblicklich
auf mit ſeinem ſüßen Gewinnſt und mit ſeinem Ge¬
folge; kaum fand Beatrix noch Zeit, die unglücklichen
Würfel an ſich zu nehmen und in ihrem Buſen zu
verbergen, worauf ſie unter ſtrömenden Thränen dem
rückſichtsloſen Gewinner folgte.

Als der kleine Zug einige Stunden geritten war,
gelangte er in ein anmuthiges Gehölz von jungen
Buchen, durch welches ein klarer Bach floß. Wie
ein leichtes grünes Seidenzelt ſchwebte die zarte Be¬
laubung in der Höhe, von den ſchlanken Silberſtan¬
gen emporgehalten, und die offene Sommerlandſchaft
ſchaute darunter herein. Hier wollte der Baron mit
ſeiner Beute ausruhen. Er hieß ſeine Leute ein
Stück vorwärts fahren, indeſſen er ſich mit Beatrixen
in der luftigen Grüne niederließ und ſie mit Lieb¬
koſungen an ſich ziehen wollte.

Da erhob ſie ſich ſtolz und indem ſie einen flam¬
menden Blick auf ihn warf, rief ſie: wohl habe er
ihre Perſon gewonnen, nicht aber ihr Herz, welches
nicht für ein altes Gemäuer zu gewinnen ſei. Sei
er ein Mann, ſo ſolle er etwas Rechtes dagegen ein¬

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[74/0088] Beatrix, welche dem Spiele vergnügt zugeſchaut hatte, erbleichte, und mit Recht; denn der alſobald er¬ folgende Wurf ließ den Uebermüthigen im Stich und gab dem Baron gewonnen. Der ſäumte nicht, ſondern brach augenblicklich auf mit ſeinem ſüßen Gewinnſt und mit ſeinem Ge¬ folge; kaum fand Beatrix noch Zeit, die unglücklichen Würfel an ſich zu nehmen und in ihrem Buſen zu verbergen, worauf ſie unter ſtrömenden Thränen dem rückſichtsloſen Gewinner folgte. Als der kleine Zug einige Stunden geritten war, gelangte er in ein anmuthiges Gehölz von jungen Buchen, durch welches ein klarer Bach floß. Wie ein leichtes grünes Seidenzelt ſchwebte die zarte Be¬ laubung in der Höhe, von den ſchlanken Silberſtan¬ gen emporgehalten, und die offene Sommerlandſchaft ſchaute darunter herein. Hier wollte der Baron mit ſeiner Beute ausruhen. Er hieß ſeine Leute ein Stück vorwärts fahren, indeſſen er ſich mit Beatrixen in der luftigen Grüne niederließ und ſie mit Lieb¬ koſungen an ſich ziehen wollte. Da erhob ſie ſich ſtolz und indem ſie einen flam¬ menden Blick auf ihn warf, rief ſie: wohl habe er ihre Perſon gewonnen, nicht aber ihr Herz, welches nicht für ein altes Gemäuer zu gewinnen ſei. Sei er ein Mann, ſo ſolle er etwas Rechtes dagegen ein¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/88>, abgerufen am 27.11.2024.