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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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Vorgänger genau das nämliche Gespräch mit ihr ge¬
führt haben mußte, welches er während der Reisetage
phantasirend ausgedacht hatte, und welches er jetzt
bedächtig fortsetzte, um zu sehen, welches Ende das
Spiel eigentlich nehmen wolle.

Aber es nahm kein Ende, vielmehr wurde es im¬
mer erbaulicher; denn als die Sonne niederging,
wurden Fackeln angezündet und die ganze Versamm¬
lung zog auf den größten Saal der Burg, um dort
des Tanzes zu pflegen. Nachdem der Kaiser den
ersten Gang mit der Braut gethan, nahm Zendel¬
wald sie in den Arm und tanzte mit ihr drei oder
vier Mal um den Saal, bis die Erglühende ihn plötz¬
lich bei der Hand nahm und zur Seite führte in ein
stilles Erkergemach, das vom Mondschein erfüllt war.
Dort warf sie sich an seine Brust, streichelte ihm
den blonden Bart und dankte ihm für sein Kommen
und seine Neigung. Der ehrliche Zendelwald aber
wollte jetzt wissen, ob er träume oder wache und be¬
fragte sie um den richtigen Sachverhalt, besonders
was seinen Doppelgänger betraf. Sie verstand ihn
lange nicht; doch ein Wort gab das andere, Zendel¬
wald sagte, so und so ist es mir ergangen, und er¬
zählte seine ganze Fahrt, von seiner Einkehr in das
Kirchlein und wie er eingeschlafen sei und das Tur¬
nier versäumt habe.

Vorgänger genau das nämliche Geſpräch mit ihr ge¬
führt haben mußte, welches er während der Reiſetage
phantaſirend ausgedacht hatte, und welches er jetzt
bedächtig fortſetzte, um zu ſehen, welches Ende das
Spiel eigentlich nehmen wolle.

Aber es nahm kein Ende, vielmehr wurde es im¬
mer erbaulicher; denn als die Sonne niederging,
wurden Fackeln angezündet und die ganze Verſamm¬
lung zog auf den größten Saal der Burg, um dort
des Tanzes zu pflegen. Nachdem der Kaiſer den
erſten Gang mit der Braut gethan, nahm Zendel¬
wald ſie in den Arm und tanzte mit ihr drei oder
vier Mal um den Saal, bis die Erglühende ihn plötz¬
lich bei der Hand nahm und zur Seite führte in ein
ſtilles Erkergemach, das vom Mondſchein erfüllt war.
Dort warf ſie ſich an ſeine Bruſt, ſtreichelte ihm
den blonden Bart und dankte ihm für ſein Kommen
und ſeine Neigung. Der ehrliche Zendelwald aber
wollte jetzt wiſſen, ob er träume oder wache und be¬
fragte ſie um den richtigen Sachverhalt, beſonders
was ſeinen Doppelgänger betraf. Sie verſtand ihn
lange nicht; doch ein Wort gab das andere, Zendel¬
wald ſagte, ſo und ſo iſt es mir ergangen, und er¬
zählte ſeine ganze Fahrt, von ſeiner Einkehr in das
Kirchlein und wie er eingeſchlafen ſei und das Tur¬
nier verſäumt habe.

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[63/0077] Vorgänger genau das nämliche Geſpräch mit ihr ge¬ führt haben mußte, welches er während der Reiſetage phantaſirend ausgedacht hatte, und welches er jetzt bedächtig fortſetzte, um zu ſehen, welches Ende das Spiel eigentlich nehmen wolle. Aber es nahm kein Ende, vielmehr wurde es im¬ mer erbaulicher; denn als die Sonne niederging, wurden Fackeln angezündet und die ganze Verſamm¬ lung zog auf den größten Saal der Burg, um dort des Tanzes zu pflegen. Nachdem der Kaiſer den erſten Gang mit der Braut gethan, nahm Zendel¬ wald ſie in den Arm und tanzte mit ihr drei oder vier Mal um den Saal, bis die Erglühende ihn plötz¬ lich bei der Hand nahm und zur Seite führte in ein ſtilles Erkergemach, das vom Mondſchein erfüllt war. Dort warf ſie ſich an ſeine Bruſt, ſtreichelte ihm den blonden Bart und dankte ihm für ſein Kommen und ſeine Neigung. Der ehrliche Zendelwald aber wollte jetzt wiſſen, ob er träume oder wache und be¬ fragte ſie um den richtigen Sachverhalt, beſonders was ſeinen Doppelgänger betraf. Sie verſtand ihn lange nicht; doch ein Wort gab das andere, Zendel¬ wald ſagte, ſo und ſo iſt es mir ergangen, und er¬ zählte ſeine ganze Fahrt, von ſeiner Einkehr in das Kirchlein und wie er eingeſchlafen ſei und das Tur¬ nier verſäumt habe.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/77>, abgerufen am 26.11.2024.