Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.Augen der Unholdin so derb den Text las und mit "Helft mir! Helft mir!" schrie sie, "dieser Mann Die herbeigelaufenen Weiber schrieen alsobald noch Nun säumte die teuflische Wittwe nicht, schnur¬ Augen der Unholdin ſo derb den Text las und mit „Helft mir! Helft mir!“ ſchrie ſie, „dieſer Mann Die herbeigelaufenen Weiber ſchrieen alſobald noch Nun ſäumte die teufliſche Wittwe nicht, ſchnur¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0032" n="18"/> Augen der Unholdin ſo derb den Text las und mit<lb/> ſo kräftigen Verwünſchungen, wie ſie nur einem<lb/> Mönch zu Gebote ſtehen, antwortete, daß jene das<lb/> Mißlingen ihres übeln Vorhabens erkannte, mit<lb/> Einem Schlag ſich verwandelte und den Ausweg ein¬<lb/> ſchlug, den ſchon das Weib des Potiphar eingeſchla¬<lb/> gen und der ſeither hundert und tauſend Mal be¬<lb/> gangen wurde. Sie ſprang wie ein Tiger auf Eugenia<lb/> zu, umſchlang ſie nochmals wie mit eiſernen Armen,<lb/> riß ſie zu ſich auf das Bett nieder und erhob gleich¬<lb/> zeitig ein ſolches Zetergeſchrei, daß ihre Mägde von<lb/> allen Seiten in das Gemach ſtürzten.</p><lb/> <p>„Helft mir! Helft mir!“ ſchrie ſie, „dieſer Mann<lb/> will mir Gewalt anthun!“ und zugleich ließ ſie Eu¬<lb/> genien los, die ſich athemlos, verwirrt und erſchrocken<lb/> auf die Füße ſtellte.</p><lb/> <p>Die herbeigelaufenen Weiber ſchrieen alſobald noch<lb/> ärger als ihre Herrin, liefen dahin und dorthin und<lb/> riefen auch männliche Geiſter herbei; Eugenia wußte<lb/> vor Schrecken kein Wort hervorzubringen, ſondern<lb/> flüchtete ſich voll Scham und Abſcheu aus, dem Hauſe,<lb/> vom Lärm und den Verwünſchungen des tollen<lb/> Haufens verfolgt.</p><lb/> <p>Nun ſäumte die teufliſche Wittwe nicht, ſchnur¬<lb/> ſtracks und mit einem guten Gefolge zum Konſul<lb/> Aquilinus zu laufen und bei ihm den Mönch der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0032]
Augen der Unholdin ſo derb den Text las und mit
ſo kräftigen Verwünſchungen, wie ſie nur einem
Mönch zu Gebote ſtehen, antwortete, daß jene das
Mißlingen ihres übeln Vorhabens erkannte, mit
Einem Schlag ſich verwandelte und den Ausweg ein¬
ſchlug, den ſchon das Weib des Potiphar eingeſchla¬
gen und der ſeither hundert und tauſend Mal be¬
gangen wurde. Sie ſprang wie ein Tiger auf Eugenia
zu, umſchlang ſie nochmals wie mit eiſernen Armen,
riß ſie zu ſich auf das Bett nieder und erhob gleich¬
zeitig ein ſolches Zetergeſchrei, daß ihre Mägde von
allen Seiten in das Gemach ſtürzten.
„Helft mir! Helft mir!“ ſchrie ſie, „dieſer Mann
will mir Gewalt anthun!“ und zugleich ließ ſie Eu¬
genien los, die ſich athemlos, verwirrt und erſchrocken
auf die Füße ſtellte.
Die herbeigelaufenen Weiber ſchrieen alſobald noch
ärger als ihre Herrin, liefen dahin und dorthin und
riefen auch männliche Geiſter herbei; Eugenia wußte
vor Schrecken kein Wort hervorzubringen, ſondern
flüchtete ſich voll Scham und Abſcheu aus, dem Hauſe,
vom Lärm und den Verwünſchungen des tollen
Haufens verfolgt.
Nun ſäumte die teufliſche Wittwe nicht, ſchnur¬
ſtracks und mit einem guten Gefolge zum Konſul
Aquilinus zu laufen und bei ihm den Mönch der
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