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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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kehrte nach dem Kloster zurück, klopfte an der Pforte
und stellte sich und ihre Begleiter dem Abt als drei
junge Männer vor, welche begehrten, als Mönche in
das Kloster aufgenommen zu werden, um von der
Welt abzuscheiden und dem Ewigen zu leben. Sie
wußte, da sie wohl unterrichtet war, auf die prüfen¬
den Fragen des Abtes so trefflich zu antworten, daß
er alle drei, die er für feine und vornehme Leute
halten mußte, in das Kloster aufnahm und den geist¬
lichen Habit anziehen ließ.

Eugenia war ein schöner, fast engelgleicher Mönch
und hieß der Bruder Eugenius, und die Hyazinthen
sahen sich wohl oder übel desgleichen in Mönche ver¬
wandelt, da sie gar nicht gefragt worden waren und
sich längst daran gewöhnt hatten, nicht anders zu
leben, als durch den Willen ihres weiblichen Vorbil¬
des. Doch bekam ihnen das Mönchsleben nicht übel,
indem sie ungleich ruhigere Tage genossen, nicht mehr
zu studiren brauchten und sich gänzlich einem leiden¬
den Gehorsam hingeben konnten.

Der Bruder Eugenius hingegen rastete nicht, son¬
dern wurde ein berühmter Mönch, weiß wie Marmor
im Gesicht, aber mit glühenden Augen und dem An¬
stand eines Erzengels. Er bekehrte viele Heiden,
pflegte die Kranken und Elenden, vertiefte sich in die
Schrift, predigte mit goldener Glockenstimme und

kehrte nach dem Kloſter zurück, klopfte an der Pforte
und ſtellte ſich und ihre Begleiter dem Abt als drei
junge Männer vor, welche begehrten, als Mönche in
das Kloſter aufgenommen zu werden, um von der
Welt abzuſcheiden und dem Ewigen zu leben. Sie
wußte, da ſie wohl unterrichtet war, auf die prüfen¬
den Fragen des Abtes ſo trefflich zu antworten, daß
er alle drei, die er für feine und vornehme Leute
halten mußte, in das Kloſter aufnahm und den geiſt¬
lichen Habit anziehen ließ.

Eugenia war ein ſchöner, faſt engelgleicher Mönch
und hieß der Bruder Eugenius, und die Hyazinthen
ſahen ſich wohl oder übel desgleichen in Mönche ver¬
wandelt, da ſie gar nicht gefragt worden waren und
ſich längſt daran gewöhnt hatten, nicht anders zu
leben, als durch den Willen ihres weiblichen Vorbil¬
des. Doch bekam ihnen das Mönchsleben nicht übel,
indem ſie ungleich ruhigere Tage genoſſen, nicht mehr
zu ſtudiren brauchten und ſich gänzlich einem leiden¬
den Gehorſam hingeben konnten.

Der Bruder Eugenius hingegen raſtete nicht, ſon¬
dern wurde ein berühmter Mönch, weiß wie Marmor
im Geſicht, aber mit glühenden Augen und dem An¬
ſtand eines Erzengels. Er bekehrte viele Heiden,
pflegte die Kranken und Elenden, vertiefte ſich in die
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[11/0025] kehrte nach dem Kloſter zurück, klopfte an der Pforte und ſtellte ſich und ihre Begleiter dem Abt als drei junge Männer vor, welche begehrten, als Mönche in das Kloſter aufgenommen zu werden, um von der Welt abzuſcheiden und dem Ewigen zu leben. Sie wußte, da ſie wohl unterrichtet war, auf die prüfen¬ den Fragen des Abtes ſo trefflich zu antworten, daß er alle drei, die er für feine und vornehme Leute halten mußte, in das Kloſter aufnahm und den geiſt¬ lichen Habit anziehen ließ. Eugenia war ein ſchöner, faſt engelgleicher Mönch und hieß der Bruder Eugenius, und die Hyazinthen ſahen ſich wohl oder übel desgleichen in Mönche ver¬ wandelt, da ſie gar nicht gefragt worden waren und ſich längſt daran gewöhnt hatten, nicht anders zu leben, als durch den Willen ihres weiblichen Vorbil¬ des. Doch bekam ihnen das Mönchsleben nicht übel, indem ſie ungleich ruhigere Tage genoſſen, nicht mehr zu ſtudiren brauchten und ſich gänzlich einem leiden¬ den Gehorſam hingeben konnten. Der Bruder Eugenius hingegen raſtete nicht, ſon¬ dern wurde ein berühmter Mönch, weiß wie Marmor im Geſicht, aber mit glühenden Augen und dem An¬ ſtand eines Erzengels. Er bekehrte viele Heiden, pflegte die Kranken und Elenden, vertiefte ſich in die Schrift, predigte mit goldener Glockenſtimme und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/25>, abgerufen am 21.11.2024.