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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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Zeit; dieser Erdboden schiene ihr gut und zweckdien¬
lich, um darauf zu tanzen, folglich würde der Himmel
wohl andere Eigenschaften haben, ansonst ja der Tod
ein überflüssiges Ding wäre.

Allein David setzte ihr auseinander, wie sehr sie
in dieser Beziehung im Irrthum sei, und bewies ihr
durch viele Bibelstellen sowie durch sein eigenes Bei¬
spiel, daß das Tanzen allerdings eine geheiligte Be¬
schäftigung für Selige sei. Jetzt aber erfordere es
einen raschen Entschluß, ja oder nein, ob sie durch
zeitliche Entsagung zur ewigen Freude eingehen wolle
oder nicht; wolle sie nicht, so gehe er weiter; denn
man habe im Himmel noch einige Tänzerinnen von
Nöthen.

Musa stand noch immer zweifelhaft und unschlüssig
und spielte ängstlich mit den Fingerspitzen am Munde;
es schien ihr zu hart, von Stund an nicht mehr zu
tanzen um eines unbekannten Lohnes willen.

Da winkte David und plötzlich spielte die Musik
einige Takte einer so unerhört glückseligen, überirdi¬
dischen Tanzweise, daß dem Mädchen die Seele im
Leibe hüpfte und alle Glieder zuckten; aber sie ver¬
mochte nicht eines zum Tanze zu regen und sie merkte,
daß ihr Leib viel zu schwer und starr sei für diese
Weise. Da schlug sie voll Sehnsucht ihre Hand in
diejenige des Königs und gelobte das, was er begehrte.

Zeit; dieſer Erdboden ſchiene ihr gut und zweckdien¬
lich, um darauf zu tanzen, folglich würde der Himmel
wohl andere Eigenſchaften haben, anſonſt ja der Tod
ein überflüſſiges Ding wäre.

Allein David ſetzte ihr auseinander, wie ſehr ſie
in dieſer Beziehung im Irrthum ſei, und bewies ihr
durch viele Bibelſtellen ſowie durch ſein eigenes Bei¬
ſpiel, daß das Tanzen allerdings eine geheiligte Be¬
ſchäftigung für Selige ſei. Jetzt aber erfordere es
einen raſchen Entſchluß, ja oder nein, ob ſie durch
zeitliche Entſagung zur ewigen Freude eingehen wolle
oder nicht; wolle ſie nicht, ſo gehe er weiter; denn
man habe im Himmel noch einige Tänzerinnen von
Nöthen.

Muſa ſtand noch immer zweifelhaft und unſchlüſſig
und ſpielte ängſtlich mit den Fingerſpitzen am Munde;
es ſchien ihr zu hart, von Stund an nicht mehr zu
tanzen um eines unbekannten Lohnes willen.

Da winkte David und plötzlich ſpielte die Muſik
einige Takte einer ſo unerhört glückſeligen, überirdi¬
diſchen Tanzweiſe, daß dem Mädchen die Seele im
Leibe hüpfte und alle Glieder zuckten; aber ſie ver¬
mochte nicht eines zum Tanze zu regen und ſie merkte,
daß ihr Leib viel zu ſchwer und ſtarr ſei für dieſe
Weiſe. Da ſchlug ſie voll Sehnſucht ihre Hand in
diejenige des Königs und gelobte das, was er begehrte.

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[142/0156] Zeit; dieſer Erdboden ſchiene ihr gut und zweckdien¬ lich, um darauf zu tanzen, folglich würde der Himmel wohl andere Eigenſchaften haben, anſonſt ja der Tod ein überflüſſiges Ding wäre. Allein David ſetzte ihr auseinander, wie ſehr ſie in dieſer Beziehung im Irrthum ſei, und bewies ihr durch viele Bibelſtellen ſowie durch ſein eigenes Bei¬ ſpiel, daß das Tanzen allerdings eine geheiligte Be¬ ſchäftigung für Selige ſei. Jetzt aber erfordere es einen raſchen Entſchluß, ja oder nein, ob ſie durch zeitliche Entſagung zur ewigen Freude eingehen wolle oder nicht; wolle ſie nicht, ſo gehe er weiter; denn man habe im Himmel noch einige Tänzerinnen von Nöthen. Muſa ſtand noch immer zweifelhaft und unſchlüſſig und ſpielte ängſtlich mit den Fingerſpitzen am Munde; es ſchien ihr zu hart, von Stund an nicht mehr zu tanzen um eines unbekannten Lohnes willen. Da winkte David und plötzlich ſpielte die Muſik einige Takte einer ſo unerhört glückſeligen, überirdi¬ diſchen Tanzweiſe, daß dem Mädchen die Seele im Leibe hüpfte und alle Glieder zuckten; aber ſie ver¬ mochte nicht eines zum Tanze zu regen und ſie merkte, daß ihr Leib viel zu ſchwer und ſtarr ſei für dieſe Weiſe. Da ſchlug ſie voll Sehnſucht ihre Hand in diejenige des Königs und gelobte das, was er begehrte.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/156>, abgerufen am 28.11.2024.