Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.dergleichen man nie gesehen, und in diesen Rosen Mit einem unendlich treuherzigen und offenen Theophilus hielt das Körbchen wirklich in Händen, Mit glänzenden Augen trat Theophilus vor ihn, "So fahre der Hexe nach!" antwortete der Statt¬ dergleichen man nie geſehen, und in dieſen Roſen Mit einem unendlich treuherzigen und offenen Theophilus hielt das Körbchen wirklich in Händen, Mit glänzenden Augen trat Theophilus vor ihn, „So fahre der Hexe nach!“ antwortete der Statt¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0148" n="134"/> dergleichen man nie geſehen, und in dieſen Roſen<lb/> lagen drei paradieſiſche Aepfel.</p><lb/> <p>Mit einem unendlich treuherzigen und offenen<lb/> Kinderlächeln und doch nicht ohne eine gewiſſe an¬<lb/> muthige Liſt ſagte das Kind: „Dies ſchickt dir Doro¬<lb/> thea!“ gab ihm das Körbchen in die Hände, indem<lb/> es noch fragte: „Hältſt du's auch?“ und verſchwand.</p><lb/> <p>Theophilus hielt das Körbchen wirklich in Händen,<lb/> das nicht verſchwunden war; die drei Aepfel waren<lb/> leicht angebiſſen von zwei zierlichen Zähnen, wie es<lb/> unter den Liebenden des Alterthums gebräuchlich war.<lb/> Er aß dieſelben langſam auf, den entflammten Ster¬<lb/> nenhimmel über ſich. Eine gewaltige Sehnſucht durch¬<lb/> ſtrömte ihn mit ſüßem Feuer und, das Körbchen an<lb/> die Bruſt drückend, es mit dem Mantel verhüllend,<lb/> eilte er vom Hausdache herunter, durch die Straßen<lb/> und in den Palaſt des Statthalters, der beim Mahle<lb/> ſaß und einen wilden Aerger, der ihn erfüllte, mit<lb/> unvermiſchtem Cholcher Wein zu betäuben ſuchte.</p><lb/> <p>Mit glänzenden Augen trat Theophilus vor ihn,<lb/> ohne ſein Körbchen zu enthüllen, und rief vor dem<lb/> ganzen Hauſe: „Ich bekenne mich zu Dorothea's<lb/> Glauben, die ihr ſo eben getödtet habt, es iſt der<lb/> allein wahre!“</p><lb/> <p>„So fahre der Hexe nach!“ antwortete der Statt¬<lb/> halter, der von jähem Zorne und von einem glühenden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [134/0148]
dergleichen man nie geſehen, und in dieſen Roſen
lagen drei paradieſiſche Aepfel.
Mit einem unendlich treuherzigen und offenen
Kinderlächeln und doch nicht ohne eine gewiſſe an¬
muthige Liſt ſagte das Kind: „Dies ſchickt dir Doro¬
thea!“ gab ihm das Körbchen in die Hände, indem
es noch fragte: „Hältſt du's auch?“ und verſchwand.
Theophilus hielt das Körbchen wirklich in Händen,
das nicht verſchwunden war; die drei Aepfel waren
leicht angebiſſen von zwei zierlichen Zähnen, wie es
unter den Liebenden des Alterthums gebräuchlich war.
Er aß dieſelben langſam auf, den entflammten Ster¬
nenhimmel über ſich. Eine gewaltige Sehnſucht durch¬
ſtrömte ihn mit ſüßem Feuer und, das Körbchen an
die Bruſt drückend, es mit dem Mantel verhüllend,
eilte er vom Hausdache herunter, durch die Straßen
und in den Palaſt des Statthalters, der beim Mahle
ſaß und einen wilden Aerger, der ihn erfüllte, mit
unvermiſchtem Cholcher Wein zu betäuben ſuchte.
Mit glänzenden Augen trat Theophilus vor ihn,
ohne ſein Körbchen zu enthüllen, und rief vor dem
ganzen Hauſe: „Ich bekenne mich zu Dorothea's
Glauben, die ihr ſo eben getödtet habt, es iſt der
allein wahre!“
„So fahre der Hexe nach!“ antwortete der Statt¬
halter, der von jähem Zorne und von einem glühenden
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Zitationshilfe: | Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/148>, abgerufen am 16.07.2024. |