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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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sammt ihrem Lager zu verklären, eine feierliche Stille
verbreitete sich, Theophilus ließ das Schwert sinken,
warf es weg und trat wiederum beschämt und betre¬
ten zurück, wie an jenem Morgen in dem Gar¬
ten am Meere.

Da brannte die Gluth aufs Neue, Dorothea
seufzte auf und verlangte nach dem Tode. Der
wurde ihr denn auch gewährt, so daß sie auf den
Richtplatz hinausgeführt wurde, um dort enthauptet
zu werden.

Leichten Schrittes ging sie einher, gefolgt von dem
gedankenlosen und lärmenden Volke. Sie sah den
Theophilus am Wege stehen, der kein Auge von ihr
wandte. Ihre Blicke begegneten sich, Dorothea stand
einen Augenblick still und sagte anmuthig zu ihm:
"O Theophilus, wenn du wüßtest, wie schön und
herrlich die Rosengärten meines Herren sind, in
welchen ich in wenigen Augenblicken wandeln werde,
und wie gut seine süßen Aepfel schmecken, die dort
wachsen, du würdest mit mir kommen!"

Da erwiederte Theophilus bitter lächelnd: "Weißt
Du was, Dorothea? Sende mir einige von deinen
Rosen und Aepfeln, wenn du dort bist, zur Probe!"

Da nickte sie freundlich und zog ihres Weges
weiter.

Theophilus blickte ihr nach, bis die von der

ſammt ihrem Lager zu verklären, eine feierliche Stille
verbreitete ſich, Theophilus ließ das Schwert ſinken,
warf es weg und trat wiederum beſchämt und betre¬
ten zurück, wie an jenem Morgen in dem Gar¬
ten am Meere.

Da brannte die Gluth aufs Neue, Dorothea
ſeufzte auf und verlangte nach dem Tode. Der
wurde ihr denn auch gewährt, ſo daß ſie auf den
Richtplatz hinausgeführt wurde, um dort enthauptet
zu werden.

Leichten Schrittes ging ſie einher, gefolgt von dem
gedankenloſen und lärmenden Volke. Sie ſah den
Theophilus am Wege ſtehen, der kein Auge von ihr
wandte. Ihre Blicke begegneten ſich, Dorothea ſtand
einen Augenblick ſtill und ſagte anmuthig zu ihm:
„O Theophilus, wenn du wüßteſt, wie ſchön und
herrlich die Roſengärten meines Herren ſind, in
welchen ich in wenigen Augenblicken wandeln werde,
und wie gut ſeine ſüßen Aepfel ſchmecken, die dort
wachſen, du würdeſt mit mir kommen!“

Da erwiederte Theophilus bitter lächelnd: „Weißt
Du was, Dorothea? Sende mir einige von deinen
Roſen und Aepfeln, wenn du dort biſt, zur Probe!“

Da nickte ſie freundlich und zog ihres Weges
weiter.

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[132/0146] ſammt ihrem Lager zu verklären, eine feierliche Stille verbreitete ſich, Theophilus ließ das Schwert ſinken, warf es weg und trat wiederum beſchämt und betre¬ ten zurück, wie an jenem Morgen in dem Gar¬ ten am Meere. Da brannte die Gluth aufs Neue, Dorothea ſeufzte auf und verlangte nach dem Tode. Der wurde ihr denn auch gewährt, ſo daß ſie auf den Richtplatz hinausgeführt wurde, um dort enthauptet zu werden. Leichten Schrittes ging ſie einher, gefolgt von dem gedankenloſen und lärmenden Volke. Sie ſah den Theophilus am Wege ſtehen, der kein Auge von ihr wandte. Ihre Blicke begegneten ſich, Dorothea ſtand einen Augenblick ſtill und ſagte anmuthig zu ihm: „O Theophilus, wenn du wüßteſt, wie ſchön und herrlich die Roſengärten meines Herren ſind, in welchen ich in wenigen Augenblicken wandeln werde, und wie gut ſeine ſüßen Aepfel ſchmecken, die dort wachſen, du würdeſt mit mir kommen!“ Da erwiederte Theophilus bitter lächelnd: „Weißt Du was, Dorothea? Sende mir einige von deinen Roſen und Aepfeln, wenn du dort biſt, zur Probe!“ Da nickte ſie freundlich und zog ihres Weges weiter. Theophilus blickte ihr nach, bis die von der

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/146>, abgerufen am 23.11.2024.