als Dorothea ihn kaum mehr anzublicken vermochte und er ihr mehr zuwider geworden zu sein schien, als das Unglück selbst. Allein er zog sich deßhalb nicht zurück; vielmehr steigerte er seine Zudringlich¬ keit, indem er zugleich anfing, wegen ihres neuen Glaubens zu zanken und ihr Gewissen zu bedrängen, Schmeicheleien mit schlecht verhehlten Bedrohungen vermischend.
Dorothea jedoch bekannte sich offen und furchtlos zu ihrem Glauben und wendete sich von ihm weg, wie von einem wesenlosen Schatten, den man nicht sieht.
Theophil hörte von all diesem und wie das gute Mädchen nicht die besten Tage hätte. Am meisten überraschte ihn die Kunde, daß sie von dem Pro¬ konsul schlechterdings nichts wissen wolle. Obgleich er in Ansehung der Religion altweltlich oder gleich¬ gültig gesinnt war, nahm er doch kein Aergerniß an dem neuen Glauben des Mädchens und begann voll Theilnahme sich wieder mehr zu nähern, um etwa besser zu sehen und zu hören, wie es ihr ginge. Aber wo sie stand und ging, sprach sie jetzt nichts, als in den zärtlichsten und sehnsüchtigsten Ausdrücken von einem himmlischen Bräutigam, den sie gefunden, der in unsterblicher Schönheit ihrer warte, um sie an seine leuchtende Brust zu nehmen und ihr die Rose des ewigen Lebens zu reichen u. s. w.
Keller, Sieben Legenden. 9
als Dorothea ihn kaum mehr anzublicken vermochte und er ihr mehr zuwider geworden zu ſein ſchien, als das Unglück ſelbſt. Allein er zog ſich deßhalb nicht zurück; vielmehr ſteigerte er ſeine Zudringlich¬ keit, indem er zugleich anfing, wegen ihres neuen Glaubens zu zanken und ihr Gewiſſen zu bedrängen, Schmeicheleien mit ſchlecht verhehlten Bedrohungen vermiſchend.
Dorothea jedoch bekannte ſich offen und furchtlos zu ihrem Glauben und wendete ſich von ihm weg, wie von einem weſenloſen Schatten, den man nicht ſieht.
Theophil hörte von all dieſem und wie das gute Mädchen nicht die beſten Tage hätte. Am meiſten überraſchte ihn die Kunde, daß ſie von dem Pro¬ konſul ſchlechterdings nichts wiſſen wolle. Obgleich er in Anſehung der Religion altweltlich oder gleich¬ gültig geſinnt war, nahm er doch kein Aergerniß an dem neuen Glauben des Mädchens und begann voll Theilnahme ſich wieder mehr zu nähern, um etwa beſſer zu ſehen und zu hören, wie es ihr ginge. Aber wo ſie ſtand und ging, ſprach ſie jetzt nichts, als in den zärtlichſten und ſehnſüchtigſten Ausdrücken von einem himmliſchen Bräutigam, den ſie gefunden, der in unſterblicher Schönheit ihrer warte, um ſie an ſeine leuchtende Bruſt zu nehmen und ihr die Roſe des ewigen Lebens zu reichen u. ſ. w.
Keller, Sieben Legenden. 9
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0143"n="129"/>
als Dorothea ihn kaum mehr anzublicken vermochte<lb/>
und er ihr mehr zuwider geworden zu ſein ſchien,<lb/>
als das Unglück ſelbſt. Allein er zog ſich deßhalb<lb/>
nicht zurück; vielmehr ſteigerte er ſeine Zudringlich¬<lb/>
keit, indem er zugleich anfing, wegen ihres neuen<lb/>
Glaubens zu zanken und ihr Gewiſſen zu bedrängen,<lb/>
Schmeicheleien mit ſchlecht verhehlten Bedrohungen<lb/>
vermiſchend.</p><lb/><p>Dorothea jedoch bekannte ſich offen und furchtlos<lb/>
zu ihrem Glauben und wendete ſich von ihm weg,<lb/>
wie von einem weſenloſen Schatten, den man nicht ſieht.</p><lb/><p>Theophil hörte von all dieſem und wie das gute<lb/>
Mädchen nicht die beſten Tage hätte. Am meiſten<lb/>
überraſchte ihn die Kunde, daß ſie von dem Pro¬<lb/>
konſul ſchlechterdings nichts wiſſen wolle. Obgleich<lb/>
er in Anſehung der Religion altweltlich oder gleich¬<lb/>
gültig geſinnt war, nahm er doch kein Aergerniß an<lb/>
dem neuen Glauben des Mädchens und begann voll<lb/>
Theilnahme ſich wieder mehr zu nähern, um etwa<lb/>
beſſer zu ſehen und zu hören, wie es ihr ginge. Aber<lb/>
wo ſie ſtand und ging, ſprach ſie jetzt nichts, als<lb/>
in den zärtlichſten und ſehnſüchtigſten Ausdrücken<lb/>
von einem himmliſchen Bräutigam, den ſie gefunden,<lb/>
der in unſterblicher Schönheit ihrer warte, um ſie<lb/>
an ſeine leuchtende Bruſt zu nehmen und ihr die<lb/>
Roſe des ewigen Lebens zu reichen u. ſ. w.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Keller</hi>, Sieben Legenden. 9<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[129/0143]
als Dorothea ihn kaum mehr anzublicken vermochte
und er ihr mehr zuwider geworden zu ſein ſchien,
als das Unglück ſelbſt. Allein er zog ſich deßhalb
nicht zurück; vielmehr ſteigerte er ſeine Zudringlich¬
keit, indem er zugleich anfing, wegen ihres neuen
Glaubens zu zanken und ihr Gewiſſen zu bedrängen,
Schmeicheleien mit ſchlecht verhehlten Bedrohungen
vermiſchend.
Dorothea jedoch bekannte ſich offen und furchtlos
zu ihrem Glauben und wendete ſich von ihm weg,
wie von einem weſenloſen Schatten, den man nicht ſieht.
Theophil hörte von all dieſem und wie das gute
Mädchen nicht die beſten Tage hätte. Am meiſten
überraſchte ihn die Kunde, daß ſie von dem Pro¬
konſul ſchlechterdings nichts wiſſen wolle. Obgleich
er in Anſehung der Religion altweltlich oder gleich¬
gültig geſinnt war, nahm er doch kein Aergerniß an
dem neuen Glauben des Mädchens und begann voll
Theilnahme ſich wieder mehr zu nähern, um etwa
beſſer zu ſehen und zu hören, wie es ihr ginge. Aber
wo ſie ſtand und ging, ſprach ſie jetzt nichts, als
in den zärtlichſten und ſehnſüchtigſten Ausdrücken
von einem himmliſchen Bräutigam, den ſie gefunden,
der in unſterblicher Schönheit ihrer warte, um ſie
an ſeine leuchtende Bruſt zu nehmen und ihr die
Roſe des ewigen Lebens zu reichen u. ſ. w.
Keller, Sieben Legenden. 9
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/143>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.