lichkeiten versehen. Ein fein einschmeichelnder Blu¬ menduft erfüllte den Raum und stimmte zu einer ge¬ wissen sittigen Weltlichkeit; auf einem blühweißen Ruhebett, an dessen Seide kein unordentliches Fält¬ chen sichtbar war, saß Jole herrlich geschmückt, in süß bekümmerter Melancholie, gleich einem spintisiren¬ den Engel. Unter dem schönfaltigen Brustkleide wogte es so rauh, wie der Sturm in einem Milchbecher, und so schön die weißen Arme erglänzten, die sie unter der Brust übereinander gelegt hatte, so sah doch all' dieser Reiz so gesetzlich und erlaubt in die Welt, daß Vitalisens gewohnte Redekunst in seinem Halse stecken blieb.
"Du bist verwundert, schönster Mönch!" begann Jole, "diesen Staat und Putz hier zu finden! Wisse, dies ist der Abschied, den ich von der Welt zu nehmen gedenke, und damit will ich zugleich die Neigung ablegen, die ich leider zu dir empfinden muß. Allein dazu sollst du mir helfen nach deinem besten Vermögen und auf die Art, wie ich mir aus¬ gedacht habe und wie ich von dir verlange. Wenn du nämlich in diesem Gewande und als geistlicher Mann zu mir sprichst, so ist das immer das Gleiche, und das Gebaren eines Klerikers vermag mich nicht zu überzeugen, da ich der Welt angehöre. Ich kann nicht durch einen Mönch von der Liebe geheilt wer¬
lichkeiten verſehen. Ein fein einſchmeichelnder Blu¬ menduft erfüllte den Raum und ſtimmte zu einer ge¬ wiſſen ſittigen Weltlichkeit; auf einem blühweißen Ruhebett, an deſſen Seide kein unordentliches Fält¬ chen ſichtbar war, ſaß Jole herrlich geſchmückt, in ſüß bekümmerter Melancholie, gleich einem ſpintiſiren¬ den Engel. Unter dem ſchönfaltigen Bruſtkleide wogte es ſo rauh, wie der Sturm in einem Milchbecher, und ſo ſchön die weißen Arme erglänzten, die ſie unter der Bruſt übereinander gelegt hatte, ſo ſah doch all' dieſer Reiz ſo geſetzlich und erlaubt in die Welt, daß Vitaliſens gewohnte Redekunſt in ſeinem Halſe ſtecken blieb.
„Du biſt verwundert, ſchönſter Mönch!“ begann Jole, „dieſen Staat und Putz hier zu finden! Wiſſe, dies iſt der Abſchied, den ich von der Welt zu nehmen gedenke, und damit will ich zugleich die Neigung ablegen, die ich leider zu dir empfinden muß. Allein dazu ſollſt du mir helfen nach deinem beſten Vermögen und auf die Art, wie ich mir aus¬ gedacht habe und wie ich von dir verlange. Wenn du nämlich in dieſem Gewande und als geiſtlicher Mann zu mir ſprichſt, ſo iſt das immer das Gleiche, und das Gebaren eines Klerikers vermag mich nicht zu überzeugen, da ich der Welt angehöre. Ich kann nicht durch einen Mönch von der Liebe geheilt wer¬
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lichkeiten verſehen. Ein fein einſchmeichelnder Blu¬
menduft erfüllte den Raum und ſtimmte zu einer ge¬
wiſſen ſittigen Weltlichkeit; auf einem blühweißen
Ruhebett, an deſſen Seide kein unordentliches Fält¬
chen ſichtbar war, ſaß Jole herrlich geſchmückt, in
ſüß bekümmerter Melancholie, gleich einem ſpintiſiren¬
den Engel. Unter dem ſchönfaltigen Bruſtkleide wogte
es ſo rauh, wie der Sturm in einem Milchbecher,
und ſo ſchön die weißen Arme erglänzten, die ſie
unter der Bruſt übereinander gelegt hatte, ſo ſah
doch all' dieſer Reiz ſo geſetzlich und erlaubt in die
Welt, daß Vitaliſens gewohnte Redekunſt in ſeinem
Halſe ſtecken blieb.
„Du biſt verwundert, ſchönſter Mönch!“ begann
Jole, „dieſen Staat und Putz hier zu finden!
Wiſſe, dies iſt der Abſchied, den ich von der Welt
zu nehmen gedenke, und damit will ich zugleich die
Neigung ablegen, die ich leider zu dir empfinden
muß. Allein dazu ſollſt du mir helfen nach deinem
beſten Vermögen und auf die Art, wie ich mir aus¬
gedacht habe und wie ich von dir verlange. Wenn
du nämlich in dieſem Gewande und als geiſtlicher
Mann zu mir ſprichſt, ſo iſt das immer das Gleiche,
und das Gebaren eines Klerikers vermag mich nicht
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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/128>, abgerufen am 16.07.2024.
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