Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.aufmerksam zu und ihr Anblick übte einen erheblichen Wie versteinert stand Vitalis da und wußte nicht "Ich geh' nicht von der Stelle," rief er endlich, aufmerkſam zu und ihr Anblick übte einen erheblichen Wie verſteinert ſtand Vitalis da und wußte nicht „Ich geh' nicht von der Stelle,“ rief er endlich, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0119" n="105"/> aufmerkſam zu und ihr Anblick übte einen erheblichen<lb/> Einfluß auf die Wahl ſeiner Worte, ohne daß er<lb/> deſſen inne ward, da die Schönheit und Feinheit des<lb/> zu bekehrenden Gegenſtandes wie von ſelbſt eine er¬<lb/> höhte Beredtſamkeit hervorrief. Allein da es ihr nicht<lb/> im mindeſten ernſt war mit dem, was ſie frevelhafter<lb/> Weiſe vorgab, ſo konnte die Rede des Mönches ſie auch<lb/> nicht ſehr erſchüttern; ein liebliches Lachen ſchwebte<lb/> vielmehr um ihren Mund, und als er geendigt und<lb/> ſich erwartungsvoll den Schweiß von der Stirne<lb/> wiſchte, ſagte Jole: „Ich bin nur halb gerührt von<lb/> deinen Worten und kann mich nicht entſchließen, mein<lb/> Vorhaben aufzugeben; denn ich bin allzuneugierig,<lb/> wie es ſich in Luſt und Sünden lebe!“</p><lb/> <p>Wie verſteinert ſtand Vitalis da und wußte nicht<lb/> ein einziges Wort hervorzubringen. Es war das<lb/> erſte Mal, daß ihm ſeine Bekehrungskunſt ſo rund<lb/> fehlgeſchlagen. Seufzend und nachſinnend ging er im<lb/> Gemach auf und nieder und beſah dann wieder die<lb/> kleine Höllenkandidatin. Die Kraft des Teufels ſchien<lb/> ſich hier auf unheimliche Weiſe mit der Kraft der<lb/> Unſchuld zu verbinden, um ihm zu widerſtehen. Aber<lb/> um ſo leidenſchaftlicher gedachte er dennoch obzuſiegen.</p><lb/> <p>„Ich geh' nicht von der Stelle,“ rief er endlich,<lb/> „bis du bereuſt, und ſollt' ich drei Tage und drei<lb/> Nächte hier zubringen!“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [105/0119]
aufmerkſam zu und ihr Anblick übte einen erheblichen
Einfluß auf die Wahl ſeiner Worte, ohne daß er
deſſen inne ward, da die Schönheit und Feinheit des
zu bekehrenden Gegenſtandes wie von ſelbſt eine er¬
höhte Beredtſamkeit hervorrief. Allein da es ihr nicht
im mindeſten ernſt war mit dem, was ſie frevelhafter
Weiſe vorgab, ſo konnte die Rede des Mönches ſie auch
nicht ſehr erſchüttern; ein liebliches Lachen ſchwebte
vielmehr um ihren Mund, und als er geendigt und
ſich erwartungsvoll den Schweiß von der Stirne
wiſchte, ſagte Jole: „Ich bin nur halb gerührt von
deinen Worten und kann mich nicht entſchließen, mein
Vorhaben aufzugeben; denn ich bin allzuneugierig,
wie es ſich in Luſt und Sünden lebe!“
Wie verſteinert ſtand Vitalis da und wußte nicht
ein einziges Wort hervorzubringen. Es war das
erſte Mal, daß ihm ſeine Bekehrungskunſt ſo rund
fehlgeſchlagen. Seufzend und nachſinnend ging er im
Gemach auf und nieder und beſah dann wieder die
kleine Höllenkandidatin. Die Kraft des Teufels ſchien
ſich hier auf unheimliche Weiſe mit der Kraft der
Unſchuld zu verbinden, um ihm zu widerſtehen. Aber
um ſo leidenſchaftlicher gedachte er dennoch obzuſiegen.
„Ich geh' nicht von der Stelle,“ rief er endlich,
„bis du bereuſt, und ſollt' ich drei Tage und drei
Nächte hier zubringen!“
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