und die sich doch von selbst verstehen und machen.
Heinrich trug ein zwiefaches praktisches Er¬ gebniß von seinem Selbstunterricht in der Ge¬ schichte davon. Erstlich gewöhnte er sich gänzlich ab, irgend einen entschwundenen Völkerzustand, und sei er noch so glänzend gewesen, zu beklagen, da dessen Untergang der erste Beweis seiner Un¬ vollständigkeit ist. Er bedauerte nun weder die beste Zeit des Griechenthums noch des Römer¬ thums, da das, was an ihr gut und schön war, nichts weniger als vergangen, sondern in jedes bewußten Mannes Bewußtsein aufbewahrt und lebendig ist, und in dem Grade, nebst anderen gu¬ ten Dingen, endlich wieder hervortreten wird, als das Bewußtsein der Menschengeschichte, d. h. die wahre menschliche Bildung allgemein werden wird. Insofern bestimmte Geschlechter und Personen die Träger der Tugenden vergangener Glanztage sind, müssen wir ihnen, da diese Hingegangenen Fleisch von unserem Fleische sind, den Zoll weihen, der allem Wesentlichen, was war und ist, gebührt, ohne sie zurückzuwünschen, da sonst wir selbst nicht Raum noch Dasein hätten.
und die ſich doch von ſelbſt verſtehen und machen.
Heinrich trug ein zwiefaches praktiſches Er¬ gebniß von ſeinem Selbſtunterricht in der Ge¬ ſchichte davon. Erſtlich gewoͤhnte er ſich gaͤnzlich ab, irgend einen entſchwundenen Voͤlkerzuſtand, und ſei er noch ſo glaͤnzend geweſen, zu beklagen, da deſſen Untergang der erſte Beweis ſeiner Un¬ vollſtaͤndigkeit iſt. Er bedauerte nun weder die beſte Zeit des Griechenthums noch des Roͤmer¬ thums, da das, was an ihr gut und ſchoͤn war, nichts weniger als vergangen, ſondern in jedes bewußten Mannes Bewußtſein aufbewahrt und lebendig iſt, und in dem Grade, nebſt anderen gu¬ ten Dingen, endlich wieder hervortreten wird, als das Bewußtſein der Menſchengeſchichte, d. h. die wahre menſchliche Bildung allgemein werden wird. Inſofern beſtimmte Geſchlechter und Perſonen die Traͤger der Tugenden vergangener Glanztage ſind, muͤſſen wir ihnen, da dieſe Hingegangenen Fleiſch von unſerem Fleiſche ſind, den Zoll weihen, der allem Weſentlichen, was war und iſt, gebuͤhrt, ohne ſie zuruͤckzuwuͤnſchen, da ſonſt wir ſelbſt nicht Raum noch Daſein haͤtten.
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und die ſich doch von ſelbſt verſtehen und machen.
Heinrich trug ein zwiefaches praktiſches Er¬
gebniß von ſeinem Selbſtunterricht in der Ge¬
ſchichte davon. Erſtlich gewoͤhnte er ſich gaͤnzlich
ab, irgend einen entſchwundenen Voͤlkerzuſtand,
und ſei er noch ſo glaͤnzend geweſen, zu beklagen,
da deſſen Untergang der erſte Beweis ſeiner Un¬
vollſtaͤndigkeit iſt. Er bedauerte nun weder die
beſte Zeit des Griechenthums noch des Roͤmer¬
thums, da das, was an ihr gut und ſchoͤn war,
nichts weniger als vergangen, ſondern in jedes
bewußten Mannes Bewußtſein aufbewahrt und
lebendig iſt, und in dem Grade, nebſt anderen gu¬
ten Dingen, endlich wieder hervortreten wird, als
das Bewußtſein der Menſchengeſchichte, d. h. die
wahre menſchliche Bildung allgemein werden wird.
Inſofern beſtimmte Geſchlechter und Perſonen die
Traͤger der Tugenden vergangener Glanztage ſind,
muͤſſen wir ihnen, da dieſe Hingegangenen Fleiſch
von unſerem Fleiſche ſind, den Zoll weihen, der
allem Weſentlichen, was war und iſt, gebuͤhrt,
ohne ſie zuruͤckzuwuͤnſchen, da ſonſt wir ſelbſt nicht
Raum noch Daſein haͤtten.
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/99>, abgerufen am 27.11.2024.
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