Aber der freie Wille des Menschen gleicht dem Keime, der im Samenkorne liegt und des feuchten und warmen Erdreiches bedarf, um sich entwickeln und wachsen zu können. Heinrich mußte sogleich erfahren, daß dieser Keim, dieser löbliche Vorsatz des freien Willens, auch beim besten Willen, noch über seine Meinung hinaus das bedingteste Wesen von der Welt ist und ohne die nothwendige Nahrung, ohne einen gesättigten Grund von Erfahrung, Einsicht und bereits er¬ füllten Bestimmungen so ruhig schläft, wie das Weizenkorn auf dem Speicher. Dieser Grund, dieser Humus aber ist für jede Anlage ein an¬ derer, gleichwie die Distel nicht da gedeiht, wo das Korn wächst, die Fichte noch fortkommt, wo
IV. 6
Drittes Kapitel.
Aber der freie Wille des Menſchen gleicht dem Keime, der im Samenkorne liegt und des feuchten und warmen Erdreiches bedarf, um ſich entwickeln und wachſen zu koͤnnen. Heinrich mußte ſogleich erfahren, daß dieſer Keim, dieſer loͤbliche Vorſatz des freien Willens, auch beim beſten Willen, noch uͤber ſeine Meinung hinaus das bedingteſte Weſen von der Welt iſt und ohne die nothwendige Nahrung, ohne einen geſaͤttigten Grund von Erfahrung, Einſicht und bereits er¬ fuͤllten Beſtimmungen ſo ruhig ſchlaͤft, wie das Weizenkorn auf dem Speicher. Dieſer Grund, dieſer Humus aber iſt fuͤr jede Anlage ein an¬ derer, gleichwie die Diſtel nicht da gedeiht, wo das Korn waͤchſt, die Fichte noch fortkommt, wo
IV. 6
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[0091]
Drittes Kapitel.
Aber der freie Wille des Menſchen gleicht
dem Keime, der im Samenkorne liegt und des
feuchten und warmen Erdreiches bedarf, um ſich
entwickeln und wachſen zu koͤnnen. Heinrich
mußte ſogleich erfahren, daß dieſer Keim, dieſer
loͤbliche Vorſatz des freien Willens, auch beim
beſten Willen, noch uͤber ſeine Meinung hinaus
das bedingteſte Weſen von der Welt iſt und ohne
die nothwendige Nahrung, ohne einen geſaͤttigten
Grund von Erfahrung, Einſicht und bereits er¬
fuͤllten Beſtimmungen ſo ruhig ſchlaͤft, wie das
Weizenkorn auf dem Speicher. Dieſer Grund,
dieſer Humus aber iſt fuͤr jede Anlage ein an¬
derer, gleichwie die Diſtel nicht da gedeiht, wo
das Korn waͤchſt, die Fichte noch fortkommt, wo
IV. 6
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/91>, abgerufen am 03.12.2024.
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