Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Rechtgläubigkeit wieder die Lüge; freilich auch
ein Kreislauf und eine Identität!

Heinrich freute sich im Gegentheile, im Na¬
men seines liberalen und generösen Gottes jedes
Fleckchen Welt einzuräumen, das sich selbst be¬
wirthschaften konnte, und er gab sich redliche
Mühe, ein festes Bewußtsein von solcher freien
Nothwendigkeit oder nothwendigen Freiheit zu
gewinnen, nicht zweifelnd, daß Alles zur größeren
Ehre Gottes geschehe wie des Menschen, dessen
Ehre mit der größeren Selbständigkeit und Ver¬
antwortlichkeit wachsen mußte.

Er suchte sich daher auch außer den anthropo¬
logischen Stunden so gut als möglich zu unter¬
richten, und wie er z. B. durch die Lehre vom
Auge zum ersten Male veranlaßt wurde, sich in
das Wesen des Lichtes einen Blick zu verschaffen,
dadurch in die unendlichen Räume der Außenwelt
geführt ward und von da wieder in den selbstbe¬
wußten Punkt seines eigenen sehenden Auges zu¬
rückkehrte, so geschah es noch in manch' anderer
Hinsicht, und alles das ohne zu große Mühe
noch Zeitaufwand. Die Ergebnisse der wahren

Rechtglaͤubigkeit wieder die Luͤge; freilich auch
ein Kreislauf und eine Identitaͤt!

Heinrich freute ſich im Gegentheile, im Na¬
men ſeines liberalen und generoͤſen Gottes jedes
Fleckchen Welt einzuraͤumen, das ſich ſelbſt be¬
wirthſchaften konnte, und er gab ſich redliche
Muͤhe, ein feſtes Bewußtſein von ſolcher freien
Nothwendigkeit oder nothwendigen Freiheit zu
gewinnen, nicht zweifelnd, daß Alles zur groͤßeren
Ehre Gottes geſchehe wie des Menſchen, deſſen
Ehre mit der groͤßeren Selbſtaͤndigkeit und Ver¬
antwortlichkeit wachſen mußte.

Er ſuchte ſich daher auch außer den anthropo¬
logiſchen Stunden ſo gut als moͤglich zu unter¬
richten, und wie er z. B. durch die Lehre vom
Auge zum erſten Male veranlaßt wurde, ſich in
das Weſen des Lichtes einen Blick zu verſchaffen,
dadurch in die unendlichen Raͤume der Außenwelt
gefuͤhrt ward und von da wieder in den ſelbſtbe¬
wußten Punkt ſeines eigenen ſehenden Auges zu¬
ruͤckkehrte, ſo geſchah es noch in manch' anderer
Hinſicht, und alles das ohne zu große Muͤhe
noch Zeitaufwand. Die Ergebniſſe der wahren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0068" n="58"/>
Rechtgla&#x0364;ubigkeit wieder die Lu&#x0364;ge; freilich auch<lb/>
ein Kreislauf und eine Identita&#x0364;t!</p><lb/>
        <p>Heinrich freute &#x017F;ich im Gegentheile, im Na¬<lb/>
men &#x017F;eines liberalen und genero&#x0364;&#x017F;en Gottes jedes<lb/>
Fleckchen Welt einzura&#x0364;umen, das &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t be¬<lb/>
wirth&#x017F;chaften konnte, und er gab &#x017F;ich redliche<lb/>
Mu&#x0364;he, ein fe&#x017F;tes Bewußt&#x017F;ein von &#x017F;olcher freien<lb/>
Nothwendigkeit oder nothwendigen Freiheit zu<lb/>
gewinnen, nicht zweifelnd, daß Alles zur gro&#x0364;ßeren<lb/>
Ehre Gottes ge&#x017F;chehe wie des Men&#x017F;chen, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Ehre mit der gro&#x0364;ßeren Selb&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit und Ver¬<lb/>
antwortlichkeit wach&#x017F;en mußte.</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;uchte &#x017F;ich daher auch außer den anthropo¬<lb/>
logi&#x017F;chen Stunden &#x017F;o gut als mo&#x0364;glich zu unter¬<lb/>
richten, und wie er z. B. durch die Lehre vom<lb/>
Auge zum er&#x017F;ten Male veranlaßt wurde, &#x017F;ich in<lb/>
das We&#x017F;en des Lichtes einen Blick zu ver&#x017F;chaffen,<lb/>
dadurch in die unendlichen Ra&#x0364;ume der Außenwelt<lb/>
gefu&#x0364;hrt ward und von da wieder in den &#x017F;elb&#x017F;tbe¬<lb/>
wußten Punkt &#x017F;eines eigenen &#x017F;ehenden Auges zu¬<lb/>
ru&#x0364;ckkehrte, &#x017F;o ge&#x017F;chah es noch in manch' anderer<lb/>
Hin&#x017F;icht, und alles das ohne zu große Mu&#x0364;he<lb/>
noch Zeitaufwand. Die Ergebni&#x017F;&#x017F;e der wahren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0068] Rechtglaͤubigkeit wieder die Luͤge; freilich auch ein Kreislauf und eine Identitaͤt! Heinrich freute ſich im Gegentheile, im Na¬ men ſeines liberalen und generoͤſen Gottes jedes Fleckchen Welt einzuraͤumen, das ſich ſelbſt be¬ wirthſchaften konnte, und er gab ſich redliche Muͤhe, ein feſtes Bewußtſein von ſolcher freien Nothwendigkeit oder nothwendigen Freiheit zu gewinnen, nicht zweifelnd, daß Alles zur groͤßeren Ehre Gottes geſchehe wie des Menſchen, deſſen Ehre mit der groͤßeren Selbſtaͤndigkeit und Ver¬ antwortlichkeit wachſen mußte. Er ſuchte ſich daher auch außer den anthropo¬ logiſchen Stunden ſo gut als moͤglich zu unter¬ richten, und wie er z. B. durch die Lehre vom Auge zum erſten Male veranlaßt wurde, ſich in das Weſen des Lichtes einen Blick zu verſchaffen, dadurch in die unendlichen Raͤume der Außenwelt gefuͤhrt ward und von da wieder in den ſelbſtbe¬ wußten Punkt ſeines eigenen ſehenden Auges zu¬ ruͤckkehrte, ſo geſchah es noch in manch' anderer Hinſicht, und alles das ohne zu große Muͤhe noch Zeitaufwand. Die Ergebniſſe der wahren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/68
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/68>, abgerufen am 24.11.2024.