wenn wir sehen, daß Alles entsteht und vergeht, sein Dasein abmißt nach einander und doch wie¬ der zumal ist.
Das Licht hat aber den Sehnerv gereift und ihn mit der Blume des Auges gekrönt, gleich wie die Sonne die Knospen der Pflanzen er¬ schließt: es hat das Auge scheinbar selbständig sich gegenüber gesetzt, so daß, wenn das Auge des Thieres und des bewußtlosen Menschen sich schließt, für dasselbe auch kein Licht mehr in der Welt ist: aber im bewußten Menschen bleibt die Erfahrung, und durch die Generationen vereinigt die eingeborne Kunde wieder die Welle mit der Quelle, das Auge mit dem Lichte, so daß beide Eines sind, und wenn ein Auge sich schließet, so weiß es: noch ist das Licht da und genug Augen, es zu sehen. Das Licht hat den Gesichtssinn hervorgerufen, die Erfahrung ist die Blüthe des Gesichtssinnes und ihre Frucht ist der selbstbe¬ wußte Geist: durch diesen aber gestaltet sich das Körperliche selbst um, bildet sich aus, und das Licht kehrt in sich selber zurück aus dem von Geist strahlenden Auge. Denn der Geist, welchen
wenn wir ſehen, daß Alles entſteht und vergeht, ſein Daſein abmißt nach einander und doch wie¬ der zumal iſt.
Das Licht hat aber den Sehnerv gereift und ihn mit der Blume des Auges gekroͤnt, gleich wie die Sonne die Knospen der Pflanzen er¬ ſchließt: es hat das Auge ſcheinbar ſelbſtaͤndig ſich gegenuͤber geſetzt, ſo daß, wenn das Auge des Thieres und des bewußtloſen Menſchen ſich ſchließt, fuͤr daſſelbe auch kein Licht mehr in der Welt iſt: aber im bewußten Menſchen bleibt die Erfahrung, und durch die Generationen vereinigt die eingeborne Kunde wieder die Welle mit der Quelle, das Auge mit dem Lichte, ſo daß beide Eines ſind, und wenn ein Auge ſich ſchließet, ſo weiß es: noch iſt das Licht da und genug Augen, es zu ſehen. Das Licht hat den Geſichtsſinn hervorgerufen, die Erfahrung iſt die Bluͤthe des Geſichtsſinnes und ihre Frucht iſt der ſelbſtbe¬ wußte Geiſt: durch dieſen aber geſtaltet ſich das Koͤrperliche ſelbſt um, bildet ſich aus, und das Licht kehrt in ſich ſelber zuruͤck aus dem von Geiſt ſtrahlenden Auge. Denn der Geiſt, welchen
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wenn wir ſehen, daß Alles entſteht und vergeht,
ſein Daſein abmißt nach einander und doch wie¬
der zumal iſt.
Das Licht hat aber den Sehnerv gereift und
ihn mit der Blume des Auges gekroͤnt, gleich
wie die Sonne die Knospen der Pflanzen er¬
ſchließt: es hat das Auge ſcheinbar ſelbſtaͤndig
ſich gegenuͤber geſetzt, ſo daß, wenn das Auge
des Thieres und des bewußtloſen Menſchen ſich
ſchließt, fuͤr daſſelbe auch kein Licht mehr in der
Welt iſt: aber im bewußten Menſchen bleibt die
Erfahrung, und durch die Generationen vereinigt
die eingeborne Kunde wieder die Welle mit der
Quelle, das Auge mit dem Lichte, ſo daß beide
Eines ſind, und wenn ein Auge ſich ſchließet, ſo
weiß es: noch iſt das Licht da und genug Augen,
es zu ſehen. Das Licht hat den Geſichtsſinn
hervorgerufen, die Erfahrung iſt die Bluͤthe des
Geſichtsſinnes und ihre Frucht iſt der ſelbſtbe¬
wußte Geiſt: durch dieſen aber geſtaltet ſich das
Koͤrperliche ſelbſt um, bildet ſich aus, und das
Licht kehrt in ſich ſelber zuruͤck aus dem von
Geiſt ſtrahlenden Auge. Denn der Geiſt, welchen
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/64>, abgerufen am 24.11.2024.
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