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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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zu können. Zugleich theilte er ihm mit, daß
neueren Nachrichten zufolge der Schreiber des
Briefes seither gestorben sei, ohne jedoch etwas
Näheres von den Verhältnissen zu wissen.

Heinrich erschrak und ahnte Schlimmes! er
ließ daher den Ueberbringer erst fortgehen, ehe er
den Brief öffnete; dann aber that er ihn auf
und las:

"Lieber Heinrich! Nachdem ich mich die
Jahre her leidlich herumgeschleppt, muß ich
nächstens nun endlich doch noch sterben an dem
Stich, den Du mir so tapfer versetzt. Ich
thue Dir dies selbst noch kund, um Dir zu¬
gleich zu sagen, daß Du mir zwar ein freund¬
liches Andenken bewahren, aber die Sache Dich
nicht etwa zu sehr angreifen lassen mögest. Es
wäre mir eine Bitterkeit, zu denken, daß Du
nur einen Tag lang deswegen unglücklich wer¬
den dürftest; denn was geschehen ist, ist sowohl
meine Schuld, wie Deine, und da ich zufrie¬
den und glücklich sterbe und mit mir im Reinen
bin, so ist weiter gar nichts zu sagen, als noch

zu koͤnnen. Zugleich theilte er ihm mit, daß
neueren Nachrichten zufolge der Schreiber des
Briefes ſeither geſtorben ſei, ohne jedoch etwas
Naͤheres von den Verhaͤltniſſen zu wiſſen.

Heinrich erſchrak und ahnte Schlimmes! er
ließ daher den Ueberbringer erſt fortgehen, ehe er
den Brief oͤffnete; dann aber that er ihn auf
und las:

»Lieber Heinrich! Nachdem ich mich die
Jahre her leidlich herumgeſchleppt, muß ich
naͤchſtens nun endlich doch noch ſterben an dem
Stich, den Du mir ſo tapfer verſetzt. Ich
thue Dir dies ſelbſt noch kund, um Dir zu¬
gleich zu ſagen, daß Du mir zwar ein freund¬
liches Andenken bewahren, aber die Sache Dich
nicht etwa zu ſehr angreifen laſſen moͤgeſt. Es
waͤre mir eine Bitterkeit, zu denken, daß Du
nur einen Tag lang deswegen ungluͤcklich wer¬
den duͤrfteſt; denn was geſchehen iſt, iſt ſowohl
meine Schuld, wie Deine, und da ich zufrie¬
den und gluͤcklich ſterbe und mit mir im Reinen
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[440/0450] zu koͤnnen. Zugleich theilte er ihm mit, daß neueren Nachrichten zufolge der Schreiber des Briefes ſeither geſtorben ſei, ohne jedoch etwas Naͤheres von den Verhaͤltniſſen zu wiſſen. Heinrich erſchrak und ahnte Schlimmes! er ließ daher den Ueberbringer erſt fortgehen, ehe er den Brief oͤffnete; dann aber that er ihn auf und las: »Lieber Heinrich! Nachdem ich mich die Jahre her leidlich herumgeſchleppt, muß ich naͤchſtens nun endlich doch noch ſterben an dem Stich, den Du mir ſo tapfer verſetzt. Ich thue Dir dies ſelbſt noch kund, um Dir zu¬ gleich zu ſagen, daß Du mir zwar ein freund¬ liches Andenken bewahren, aber die Sache Dich nicht etwa zu ſehr angreifen laſſen moͤgeſt. Es waͤre mir eine Bitterkeit, zu denken, daß Du nur einen Tag lang deswegen ungluͤcklich wer¬ den duͤrfteſt; denn was geſchehen iſt, iſt ſowohl meine Schuld, wie Deine, und da ich zufrie¬ den und gluͤcklich ſterbe und mit mir im Reinen bin, ſo iſt weiter gar nichts zu ſagen, als noch

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/450>, abgerufen am 28.11.2024.