dem gleichen Stein gehauen, ein langer Ritter ausgestreckt lag, die Hände auf der Brust gefal¬ tet. An seiner linken Seite, auf dem Kranze des Sarkophags, stand eine verschlossene Büchse von Erz, reich gearbeitet und mittelst einer ehernen Kette an dem Marmor befestigt. Sie enthielt das vertrocknete Herz des Ritters, und sein Wap¬ pen war auf ihr eingegraben. Die Büchse und die feine Kette waren gänzlich oxydirt und schiller¬ ten schön grün im Zwielicht der Sakristei. Das Grabmal aber gehörte, laut den Hausberichten, einem französischen Ritter an, welcher von wilder und heftiger, aber ehrlicher und verliebter Natur gewesen und dessen Herz, als er vor allerhand Unstern und Frauenmißhandlung flüchtig herum¬ zog, in dieser Gegend gewaltsam gebrochen war Dies war zu Anfang des sechszehnten Jahrhun¬ derts geschehen und seine Familie hatte hier, wo er in den letzten Tagen gepflegt worden, das Grabmal errichten lassen. Dasselbe vor Augen saß Heinrich nun da in seinem Winkel zwischen alten Tabernakeln und Processionsgeräthschaften, als er hörte, daß wieder Leute in die Kirche tra¬
dem gleichen Stein gehauen, ein langer Ritter ausgeſtreckt lag, die Haͤnde auf der Bruſt gefal¬ tet. An ſeiner linken Seite, auf dem Kranze des Sarkophags, ſtand eine verſchloſſene Buͤchſe von Erz, reich gearbeitet und mittelſt einer ehernen Kette an dem Marmor befeſtigt. Sie enthielt das vertrocknete Herz des Ritters, und ſein Wap¬ pen war auf ihr eingegraben. Die Buͤchſe und die feine Kette waren gaͤnzlich oxydirt und ſchiller¬ ten ſchoͤn gruͤn im Zwielicht der Sakriſtei. Das Grabmal aber gehoͤrte, laut den Hausberichten, einem franzoͤſiſchen Ritter an, welcher von wilder und heftiger, aber ehrlicher und verliebter Natur geweſen und deſſen Herz, als er vor allerhand Unſtern und Frauenmißhandlung fluͤchtig herum¬ zog, in dieſer Gegend gewaltſam gebrochen war Dies war zu Anfang des ſechszehnten Jahrhun¬ derts geſchehen und ſeine Familie hatte hier, wo er in den letzten Tagen gepflegt worden, das Grabmal errichten laſſen. Daſſelbe vor Augen ſaß Heinrich nun da in ſeinem Winkel zwiſchen alten Tabernakeln und Proceſſionsgeraͤthſchaften, als er hoͤrte, daß wieder Leute in die Kirche tra¬
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dem gleichen Stein gehauen, ein langer Ritter
ausgeſtreckt lag, die Haͤnde auf der Bruſt gefal¬
tet. An ſeiner linken Seite, auf dem Kranze des
Sarkophags, ſtand eine verſchloſſene Buͤchſe von
Erz, reich gearbeitet und mittelſt einer ehernen
Kette an dem Marmor befeſtigt. Sie enthielt
das vertrocknete Herz des Ritters, und ſein Wap¬
pen war auf ihr eingegraben. Die Buͤchſe und
die feine Kette waren gaͤnzlich oxydirt und ſchiller¬
ten ſchoͤn gruͤn im Zwielicht der Sakriſtei. Das
Grabmal aber gehoͤrte, laut den Hausberichten,
einem franzoͤſiſchen Ritter an, welcher von wilder
und heftiger, aber ehrlicher und verliebter Natur
geweſen und deſſen Herz, als er vor allerhand
Unſtern und Frauenmißhandlung fluͤchtig herum¬
zog, in dieſer Gegend gewaltſam gebrochen war
Dies war zu Anfang des ſechszehnten Jahrhun¬
derts geſchehen und ſeine Familie hatte hier, wo
er in den letzten Tagen gepflegt worden, das
Grabmal errichten laſſen. Daſſelbe vor Augen
ſaß Heinrich nun da in ſeinem Winkel zwiſchen
alten Tabernakeln und Proceſſionsgeraͤthſchaften,
als er hoͤrte, daß wieder Leute in die Kirche tra¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/439>, abgerufen am 27.11.2024.
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