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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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so wird sie dem Alter entgegengehen und zuletzt
dem Tode! Ist es möglich, daß dies Wesen und
diese Lieblichkeit vergehen soll?" Es ergriff ihn
heftiges Leiden um sie und es schien ihm beim
Himmel nicht möglich und nicht möglich zu sein,
daß sie anders als in seinen Armen glücklich und
zufrieden alt werden könne! Er fühlte, daß ihm
sogleich die Augen übergehen würden, stand auf
und sagte: "Ich muß gehen, ich habe noch viel
zu thun." Er verbeugte sich verzweifelt, Dortchen
stand überrascht auf und verbeugte sich ebenfalls,
und dies war sehr komisch und wehmüthig, da
Beide bei dem einfachen Tone, der in dem Hause
herrschte, sich längst nicht mehr gegeneinander ver¬
beugt hatten, sondern sich aufrecht begrüßten.

Heinrich lief in die Kirche hinein, um sich
zu verbergen, und da dort ein altes Mütterchen
knieete und ihr Vaterunser betete, so flüchtete er in
die Sakristei und setzte sich dort in einen dunklen
Winkel, um unaufhaltsam zu weinen und zu
schluchzen. Werfe Niemand einen Stein auf ihn,
weil er schwach war; denn diese Schwäche war
nur der Gegenpol und die Kehrseite der Tiefe

ſo wird ſie dem Alter entgegengehen und zuletzt
dem Tode! Iſt es moͤglich, daß dies Weſen und
dieſe Lieblichkeit vergehen ſoll?« Es ergriff ihn
heftiges Leiden um ſie und es ſchien ihm beim
Himmel nicht moͤglich und nicht moͤglich zu ſein,
daß ſie anders als in ſeinen Armen gluͤcklich und
zufrieden alt werden koͤnne! Er fuͤhlte, daß ihm
ſogleich die Augen uͤbergehen wuͤrden, ſtand auf
und ſagte: »Ich muß gehen, ich habe noch viel
zu thun.« Er verbeugte ſich verzweifelt, Dortchen
ſtand uͤberraſcht auf und verbeugte ſich ebenfalls,
und dies war ſehr komiſch und wehmuͤthig, da
Beide bei dem einfachen Tone, der in dem Hauſe
herrſchte, ſich laͤngſt nicht mehr gegeneinander ver¬
beugt hatten, ſondern ſich aufrecht begruͤßten.

Heinrich lief in die Kirche hinein, um ſich
zu verbergen, und da dort ein altes Muͤtterchen
knieete und ihr Vaterunſer betete, ſo fluͤchtete er in
die Sakriſtei und ſetzte ſich dort in einen dunklen
Winkel, um unaufhaltſam zu weinen und zu
ſchluchzen. Werfe Niemand einen Stein auf ihn,
weil er ſchwach war; denn dieſe Schwaͤche war
nur der Gegenpol und die Kehrſeite der Tiefe

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[427/0437] ſo wird ſie dem Alter entgegengehen und zuletzt dem Tode! Iſt es moͤglich, daß dies Weſen und dieſe Lieblichkeit vergehen ſoll?« Es ergriff ihn heftiges Leiden um ſie und es ſchien ihm beim Himmel nicht moͤglich und nicht moͤglich zu ſein, daß ſie anders als in ſeinen Armen gluͤcklich und zufrieden alt werden koͤnne! Er fuͤhlte, daß ihm ſogleich die Augen uͤbergehen wuͤrden, ſtand auf und ſagte: »Ich muß gehen, ich habe noch viel zu thun.« Er verbeugte ſich verzweifelt, Dortchen ſtand uͤberraſcht auf und verbeugte ſich ebenfalls, und dies war ſehr komiſch und wehmuͤthig, da Beide bei dem einfachen Tone, der in dem Hauſe herrſchte, ſich laͤngſt nicht mehr gegeneinander ver¬ beugt hatten, ſondern ſich aufrecht begruͤßten. Heinrich lief in die Kirche hinein, um ſich zu verbergen, und da dort ein altes Muͤtterchen knieete und ihr Vaterunſer betete, ſo fluͤchtete er in die Sakriſtei und ſetzte ſich dort in einen dunklen Winkel, um unaufhaltſam zu weinen und zu ſchluchzen. Werfe Niemand einen Stein auf ihn, weil er ſchwach war; denn dieſe Schwaͤche war nur der Gegenpol und die Kehrſeite der Tiefe

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/437>, abgerufen am 27.11.2024.