her, sich aus dem Staube machte und erst aus der Entfernung anfing, mit Steinen nach dem tollen Heinrich zu werfen. Langsam ging dieser davon und bedeckte seine überströmenden Augen mit beiden Händen. Solche Kunststücke trieb er nun und der Himmel mochte wissen, wo er sie gelernt hatte.
Endlich aber stellte sich von dem andauern¬ den Druck des besagten goldenen Bildes ein blei¬ bender körperlicher Schmerz auf der linken Seite ein, der erst nur ganz leise war und sich nur all¬ mälig bemerklich machte. Als ihn Heinrich endlich entdeckte und von der gewohnten Beklemmung unter¬ schied, fuhr er unablässig mit der Hand über die Stelle, als ob er wegwischen könnte, was ihm weh that. Da es aber nicht weg ging, sagte er: So so, nun hat's mich!" denn er dachte, dieses wäre nun das wirkliche und wahrhaftige Herzeleid, an welchem man stürbe, wenn es nicht aufhörte. Und er wun¬ derte sich, daß also das bekannte Herzweh, wel¬ ches in den Balladen und Romanzen vorkommt, in der That und Wahrheit existire und gerade ihn betreffen müsse. Erst empfand er fast eine kin¬
IV. 27
her, ſich aus dem Staube machte und erſt aus der Entfernung anfing, mit Steinen nach dem tollen Heinrich zu werfen. Langſam ging dieſer davon und bedeckte ſeine uͤberſtroͤmenden Augen mit beiden Haͤnden. Solche Kunſtſtuͤcke trieb er nun und der Himmel mochte wiſſen, wo er ſie gelernt hatte.
Endlich aber ſtellte ſich von dem andauern¬ den Druck des beſagten goldenen Bildes ein blei¬ bender koͤrperlicher Schmerz auf der linken Seite ein, der erſt nur ganz leiſe war und ſich nur all¬ maͤlig bemerklich machte. Als ihn Heinrich endlich entdeckte und von der gewohnten Beklemmung unter¬ ſchied, fuhr er unablaͤſſig mit der Hand uͤber die Stelle, als ob er wegwiſchen koͤnnte, was ihm weh that. Da es aber nicht weg ging, ſagte er: So ſo, nun hat's mich!« denn er dachte, dieſes waͤre nun das wirkliche und wahrhaftige Herzeleid, an welchem man ſtuͤrbe, wenn es nicht aufhoͤrte. Und er wun¬ derte ſich, daß alſo das bekannte Herzweh, wel¬ ches in den Balladen und Romanzen vorkommt, in der That und Wahrheit exiſtire und gerade ihn betreffen muͤſſe. Erſt empfand er faſt eine kin¬
IV. 27
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her, ſich aus dem Staube machte und erſt aus
der Entfernung anfing, mit Steinen nach dem
tollen Heinrich zu werfen. Langſam ging dieſer
davon und bedeckte ſeine uͤberſtroͤmenden Augen
mit beiden Haͤnden. Solche Kunſtſtuͤcke trieb er
nun und der Himmel mochte wiſſen, wo er ſie
gelernt hatte.
Endlich aber ſtellte ſich von dem andauern¬
den Druck des beſagten goldenen Bildes ein blei¬
bender koͤrperlicher Schmerz auf der linken Seite
ein, der erſt nur ganz leiſe war und ſich nur all¬
maͤlig bemerklich machte. Als ihn Heinrich endlich
entdeckte und von der gewohnten Beklemmung unter¬
ſchied, fuhr er unablaͤſſig mit der Hand uͤber die Stelle,
als ob er wegwiſchen koͤnnte, was ihm weh that.
Da es aber nicht weg ging, ſagte er: So ſo, nun
hat's mich!« denn er dachte, dieſes waͤre nun das
wirkliche und wahrhaftige Herzeleid, an welchem
man ſtuͤrbe, wenn es nicht aufhoͤrte. Und er wun¬
derte ſich, daß alſo das bekannte Herzweh, wel¬
ches in den Balladen und Romanzen vorkommt,
in der That und Wahrheit exiſtire und gerade ihn
betreffen muͤſſe. Erſt empfand er faſt eine kin¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/427>, abgerufen am 26.11.2024.
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