ein solches Geständniß doch für eine verkappte ernstliche Liebeserklärung und angelegte Schlau¬ heit ansehen. Diese Idee machte ihn sogleich wie¬ der traurig, da er nun es doch verschweigen mußte, und wie er dies einsah, schien es ihm erst unmög¬ lich zu sein und seine Gemüthsruhe nur dann wieder erreichbar, wenn er sein bestandenes Unge¬ witter bekennen durfte, am liebsten der Erregerin desselben selbst. Auch schien ihr diese Kunde durch¬ aus von Rechtswegen zu gebühren und Heinrich war ihr so gut, daß er ihr ohne allen Eigennutz nicht das Geringste entziehen mochte, was ihr zu¬ kam. Daher rief er endlich: "Ich sag' es ihr doch!" Aber dann fürchtete er wieder, es möchte dennoch ein Mißverständniß hervorgerufen werden und er endlich unter einem schlimmen Eindruck aus dem Hause abziehen müssen, und er rief wie¬ der: "Nein! Ich sag' es doch nicht! Was geht es sie an?" Endlich nahm er ein flaches rundes Steinchen aus dem klaren Bächlein, das auf einer Seite rosenroth und auf der anderen Seite milch¬ weiß gefärbt war mit blauen Aederchen, und warf selbiges in die Höhe. Wenn die rothe Seite oben
ein ſolches Geſtaͤndniß doch fuͤr eine verkappte ernſtliche Liebeserklaͤrung und angelegte Schlau¬ heit anſehen. Dieſe Idee machte ihn ſogleich wie¬ der traurig, da er nun es doch verſchweigen mußte, und wie er dies einſah, ſchien es ihm erſt unmoͤg¬ lich zu ſein und ſeine Gemuͤthsruhe nur dann wieder erreichbar, wenn er ſein beſtandenes Unge¬ witter bekennen durfte, am liebſten der Erregerin deſſelben ſelbſt. Auch ſchien ihr dieſe Kunde durch¬ aus von Rechtswegen zu gebuͤhren und Heinrich war ihr ſo gut, daß er ihr ohne allen Eigennutz nicht das Geringſte entziehen mochte, was ihr zu¬ kam. Daher rief er endlich: »Ich ſag' es ihr doch!« Aber dann fuͤrchtete er wieder, es moͤchte dennoch ein Mißverſtaͤndniß hervorgerufen werden und er endlich unter einem ſchlimmen Eindruck aus dem Hauſe abziehen muͤſſen, und er rief wie¬ der: »Nein! Ich ſag' es doch nicht! Was geht es ſie an?« Endlich nahm er ein flaches rundes Steinchen aus dem klaren Baͤchlein, das auf einer Seite roſenroth und auf der anderen Seite milch¬ weiß gefaͤrbt war mit blauen Aederchen, und warf ſelbiges in die Hoͤhe. Wenn die rothe Seite oben
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ein ſolches Geſtaͤndniß doch fuͤr eine verkappte
ernſtliche Liebeserklaͤrung und angelegte Schlau¬
heit anſehen. Dieſe Idee machte ihn ſogleich wie¬
der traurig, da er nun es doch verſchweigen mußte,
und wie er dies einſah, ſchien es ihm erſt unmoͤg¬
lich zu ſein und ſeine Gemuͤthsruhe nur dann
wieder erreichbar, wenn er ſein beſtandenes Unge¬
witter bekennen durfte, am liebſten der Erregerin
deſſelben ſelbſt. Auch ſchien ihr dieſe Kunde durch¬
aus von Rechtswegen zu gebuͤhren und Heinrich
war ihr ſo gut, daß er ihr ohne allen Eigennutz
nicht das Geringſte entziehen mochte, was ihr zu¬
kam. Daher rief er endlich: »Ich ſag' es ihr
doch!« Aber dann fuͤrchtete er wieder, es moͤchte
dennoch ein Mißverſtaͤndniß hervorgerufen werden
und er endlich unter einem ſchlimmen Eindruck
aus dem Hauſe abziehen muͤſſen, und er rief wie¬
der: »Nein! Ich ſag' es doch nicht! Was geht
es ſie an?« Endlich nahm er ein flaches rundes
Steinchen aus dem klaren Baͤchlein, das auf einer
Seite roſenroth und auf der anderen Seite milch¬
weiß gefaͤrbt war mit blauen Aederchen, und warf
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/420>, abgerufen am 26.11.2024.
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