nung hatte von der Veränderung, die in dieser Nacht mit ihm vorging, und diese kurze Frühlings¬ nacht enthielt gleich einem kräftigen Prolog schon Alles, was er während vieler Wochen nun er¬ leben und erleiden sollte. Das Gattungsmäßige im Menschen erwachte in ihm mit aller Gewalt und Pracht seines Wesens, das Gefühl der Schön¬ heit und Vergänglichkeit des Lebens warf darein eine beklemmende Angst, daß die, welche alles dies anrichtete und welche ihm so ganz nothwen¬ dig schien, um ferner zu leben, ihm ja gewiß nicht werden würde. Denn er ehrte sie, indem er jetzt eine ganze Leidenschaft zu empfinden be¬ gann, sogleich so, daß er es nun entschieden und entschlossen verschmähte, sie in seinen Gedanken mit seiner Person zu behelligen, indem er, der Welt gegenüber sich keck und eroberungslustig füh¬ lend, vor Dortchen eine gänzliche Demuth und Furcht empfand. Doch wechselte die Furcht wohl zwanzig Mal mit der Hoffnung, wenn er manche freundliche Blicke, angenehme Worte und zuletzt die Stimme bedachte, mit welcher sie obigen Frühlingsvers gesungen; doch endete auch dieser
nung hatte von der Veraͤnderung, die in dieſer Nacht mit ihm vorging, und dieſe kurze Fruͤhlings¬ nacht enthielt gleich einem kraͤftigen Prolog ſchon Alles, was er waͤhrend vieler Wochen nun er¬ leben und erleiden ſollte. Das Gattungsmaͤßige im Menſchen erwachte in ihm mit aller Gewalt und Pracht ſeines Weſens, das Gefuͤhl der Schoͤn¬ heit und Vergaͤnglichkeit des Lebens warf darein eine beklemmende Angſt, daß die, welche alles dies anrichtete und welche ihm ſo ganz nothwen¬ dig ſchien, um ferner zu leben, ihm ja gewiß nicht werden wuͤrde. Denn er ehrte ſie, indem er jetzt eine ganze Leidenſchaft zu empfinden be¬ gann, ſogleich ſo, daß er es nun entſchieden und entſchloſſen verſchmaͤhte, ſie in ſeinen Gedanken mit ſeiner Perſon zu behelligen, indem er, der Welt gegenuͤber ſich keck und eroberungsluſtig fuͤh¬ lend, vor Dortchen eine gaͤnzliche Demuth und Furcht empfand. Doch wechſelte die Furcht wohl zwanzig Mal mit der Hoffnung, wenn er manche freundliche Blicke, angenehme Worte und zuletzt die Stimme bedachte, mit welcher ſie obigen Fruͤhlingsvers geſungen; doch endete auch dieſer
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nung hatte von der Veraͤnderung, die in dieſer
Nacht mit ihm vorging, und dieſe kurze Fruͤhlings¬
nacht enthielt gleich einem kraͤftigen Prolog ſchon
Alles, was er waͤhrend vieler Wochen nun er¬
leben und erleiden ſollte. Das Gattungsmaͤßige
im Menſchen erwachte in ihm mit aller Gewalt
und Pracht ſeines Weſens, das Gefuͤhl der Schoͤn¬
heit und Vergaͤnglichkeit des Lebens warf darein
eine beklemmende Angſt, daß die, welche alles
dies anrichtete und welche ihm ſo ganz nothwen¬
dig ſchien, um ferner zu leben, ihm ja gewiß
nicht werden wuͤrde. Denn er ehrte ſie, indem
er jetzt eine ganze Leidenſchaft zu empfinden be¬
gann, ſogleich ſo, daß er es nun entſchieden und
entſchloſſen verſchmaͤhte, ſie in ſeinen Gedanken
mit ſeiner Perſon zu behelligen, indem er, der
Welt gegenuͤber ſich keck und eroberungsluſtig fuͤh¬
lend, vor Dortchen eine gaͤnzliche Demuth und
Furcht empfand. Doch wechſelte die Furcht wohl
zwanzig Mal mit der Hoffnung, wenn er manche
freundliche Blicke, angenehme Worte und zuletzt
die Stimme bedachte, mit welcher ſie obigen
Fruͤhlingsvers geſungen; doch endete auch dieſer
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/409>, abgerufen am 25.11.2024.
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