Pfarrer und wollte ihm gar nicht passen, und er ergriff eines Abends das Büchlein und begann um so eindringlicher und nachdrücklicher daraus vorzulesen, als ob die Leutchen bis jetzt gar nicht gemerkt, was sie eigentlich läsen. Als er sich et¬ was müde geeifert, nahm Heinrich das Buch auch in die Hand, blätterte darin und sagte dann: "Es ist ein recht wesentliches und maßgebendes Büchlein! Wie richtig und trefflich fängt es so¬ gleich an mit dem Distichon: "Was fein ist, das besteht!"
Rein wie das feinste Gold, steif wie ein Felsenstein, Ganz lauter wie Krystall, soll dein Gemüthe sein.
"Kann man treffender die Grundlage aller dergleichen Uebungen und Denkarten, seien sie bejahend oder verneinend, und den Werth, das Muttergut bezeichnen, das man von vornherein hinzubringen muß, wenn die ganze Sache erheb¬ lich sein soll? Wenn wir uns aber weiter um¬ sehen, so finden wir mit Vergnügen, wie die Ex¬ treme sich berühren und im Umwenden Eines in's Andere umschlagen kann. Da ist Ludwig
Pfarrer und wollte ihm gar nicht paſſen, und er ergriff eines Abends das Buͤchlein und begann um ſo eindringlicher und nachdruͤcklicher daraus vorzuleſen, als ob die Leutchen bis jetzt gar nicht gemerkt, was ſie eigentlich laͤſen. Als er ſich et¬ was muͤde geeifert, nahm Heinrich das Buch auch in die Hand, blaͤtterte darin und ſagte dann: »Es iſt ein recht weſentliches und maßgebendes Buͤchlein! Wie richtig und trefflich faͤngt es ſo¬ gleich an mit dem Diſtichon: »Was fein iſt, das beſteht!«
Rein wie das feinſte Gold, ſteif wie ein Felſenſtein, Ganz lauter wie Kryſtall, ſoll dein Gemuͤthe ſein.
»Kann man treffender die Grundlage aller dergleichen Uebungen und Denkarten, ſeien ſie bejahend oder verneinend, und den Werth, das Muttergut bezeichnen, das man von vornherein hinzubringen muß, wenn die ganze Sache erheb¬ lich ſein ſoll? Wenn wir uns aber weiter um¬ ſehen, ſo finden wir mit Vergnuͤgen, wie die Ex¬ treme ſich beruͤhren und im Umwenden Eines in's Andere umſchlagen kann. Da iſt Ludwig
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Pfarrer und wollte ihm gar nicht paſſen, und er
ergriff eines Abends das Buͤchlein und begann
um ſo eindringlicher und nachdruͤcklicher daraus
vorzuleſen, als ob die Leutchen bis jetzt gar nicht
gemerkt, was ſie eigentlich laͤſen. Als er ſich et¬
was muͤde geeifert, nahm Heinrich das Buch
auch in die Hand, blaͤtterte darin und ſagte dann:
»Es iſt ein recht weſentliches und maßgebendes
Buͤchlein! Wie richtig und trefflich faͤngt es ſo¬
gleich an mit dem Diſtichon: »Was fein iſt, das
beſteht!«
Rein wie das feinſte Gold, ſteif wie ein Felſenſtein,
Ganz lauter wie Kryſtall, ſoll dein Gemuͤthe ſein.
»Kann man treffender die Grundlage aller
dergleichen Uebungen und Denkarten, ſeien ſie
bejahend oder verneinend, und den Werth, das
Muttergut bezeichnen, das man von vornherein
hinzubringen muß, wenn die ganze Sache erheb¬
lich ſein ſoll? Wenn wir uns aber weiter um¬
ſehen, ſo finden wir mit Vergnuͤgen, wie die Ex¬
treme ſich beruͤhren und im Umwenden Eines
in's Andere umſchlagen kann. Da iſt Ludwig
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/402>, abgerufen am 24.11.2024.
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