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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Alsdann wird der reine Schöpfer- und Dichter¬
geist, welcher in jedem Bürger schlummert, durch
keine Schranke mehr gehemmt, zu Tage treten,
und wo sich zwei Städtebewohner träfen, wäre
der Gruß hörbar: "Dichter?" "Dichter!" oder:
"Künstler?" "Künstler!" Ein zusammengesetzter
Senat geprüfter Buchbinder und Rahmenvergol¬
der würde in wöchentlichen olympischen Spielen
massenhaft die Würde des Prachteinbandes und
des goldenen Rahmens ertheilen, nachdem sie sich
eidlich verpflichtet, während der Dauer ihres Richter¬
amtes selbst keine Epen und keine Bilder zu
machen, und ganze Cohorten wissenschaftlich wie
ästhetisch verbildeter Verleger würden die gekrönten
Epen in stündlich folgenden Auflagen von je einem
Exemplare über ganz Deutschland hin so tiefsinnig
verlegen, daß sie kein Teufel wieder finden könnte!"

"Lieber Mann, was befällt Dich, wo willst
Du hin?" rief Rosalie, die wie die Anderen mit
offenem Munde dagestanden und abwechselnd bald
den über und über bekritzelten Rahmen, bald den
Redner betrachtet hatte, indessen Heinrich, mit
Roth begossen, dann bleich werdend, in der un¬

Alsdann wird der reine Schoͤpfer- und Dichter¬
geiſt, welcher in jedem Buͤrger ſchlummert, durch
keine Schranke mehr gehemmt, zu Tage treten,
und wo ſich zwei Staͤdtebewohner traͤfen, waͤre
der Gruß hoͤrbar: »Dichter?« »Dichter!« oder:
»Kuͤnſtler?« »Kuͤnſtler!« Ein zuſammengeſetzter
Senat gepruͤfter Buchbinder und Rahmenvergol¬
der wuͤrde in woͤchentlichen olympiſchen Spielen
maſſenhaft die Wuͤrde des Prachteinbandes und
des goldenen Rahmens ertheilen, nachdem ſie ſich
eidlich verpflichtet, waͤhrend der Dauer ihres Richter¬
amtes ſelbſt keine Epen und keine Bilder zu
machen, und ganze Cohorten wiſſenſchaftlich wie
aͤſthetiſch verbildeter Verleger wuͤrden die gekroͤnten
Epen in ſtuͤndlich folgenden Auflagen von je einem
Exemplare uͤber ganz Deutſchland hin ſo tiefſinnig
verlegen, daß ſie kein Teufel wieder finden koͤnnte!«

»Lieber Mann, was befaͤllt Dich, wo willſt
Du hin?« rief Roſalie, die wie die Anderen mit
offenem Munde dageſtanden und abwechſelnd bald
den uͤber und uͤber bekritzelten Rahmen, bald den
Redner betrachtet hatte, indeſſen Heinrich, mit
Roth begoſſen, dann bleich werdend, in der un¬

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[30/0040] Alsdann wird der reine Schoͤpfer- und Dichter¬ geiſt, welcher in jedem Buͤrger ſchlummert, durch keine Schranke mehr gehemmt, zu Tage treten, und wo ſich zwei Staͤdtebewohner traͤfen, waͤre der Gruß hoͤrbar: »Dichter?« »Dichter!« oder: »Kuͤnſtler?« »Kuͤnſtler!« Ein zuſammengeſetzter Senat gepruͤfter Buchbinder und Rahmenvergol¬ der wuͤrde in woͤchentlichen olympiſchen Spielen maſſenhaft die Wuͤrde des Prachteinbandes und des goldenen Rahmens ertheilen, nachdem ſie ſich eidlich verpflichtet, waͤhrend der Dauer ihres Richter¬ amtes ſelbſt keine Epen und keine Bilder zu machen, und ganze Cohorten wiſſenſchaftlich wie aͤſthetiſch verbildeter Verleger wuͤrden die gekroͤnten Epen in ſtuͤndlich folgenden Auflagen von je einem Exemplare uͤber ganz Deutſchland hin ſo tiefſinnig verlegen, daß ſie kein Teufel wieder finden koͤnnte!« »Lieber Mann, was befaͤllt Dich, wo willſt Du hin?« rief Roſalie, die wie die Anderen mit offenem Munde dageſtanden und abwechſelnd bald den uͤber und uͤber bekritzelten Rahmen, bald den Redner betrachtet hatte, indeſſen Heinrich, mit Roth begoſſen, dann bleich werdend, in der un¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/40>, abgerufen am 24.11.2024.