Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweckmäßigkeit, Klarheit, gelungener Absicht!
Diese Million Striche und Strichelchen, zart und
geistreich oder fest und markig, wie sie sind, in
einer Landschaft auf materielle Weise placirt,
würden allerdings ein sogenanntes Bild im alten
Sinne ausmachen und so der hergebrachten gröb¬
sten Tendenz fröhnen! Wohlan! Du hast Dich
kurz entschlossen und alles Gegenständliche hinaus¬
geworfen! Diese fleißigen Schraffirungen sind
Schraffirungen an sich, in der vollkommensten
Freiheit des Schönen schwebend, dies ist der
Fleiß, die Zweckmäßigkeit, die Klarheit an sich,
in der holdesten, reizendsten Abstraction! Und
diese Verknotungen, aus denen Du Dich auf so
treffliche Weise gezogen hast, sind sie nicht der
triumphirende Beweis, wie Logik und Kunst¬
mäßigkeit erst im Wesenlosen recht ihre Siege
feiern, im Nichts sich Leidenschaften und Verfin¬
sterungen gebären und sie glänzend überwinden?
Aus Nichts hat Gott die Welt geschaffen! Sie
ist ein krankhafter Absceß dieses Nichts, ein Ab¬
fall Gottes von sich selbst. Das Schöne, das
poetische, das Göttliche besteht eben darin, daß

Zweckmaͤßigkeit, Klarheit, gelungener Abſicht!
Dieſe Million Striche und Strichelchen, zart und
geiſtreich oder feſt und markig, wie ſie ſind, in
einer Landſchaft auf materielle Weiſe placirt,
wuͤrden allerdings ein ſogenanntes Bild im alten
Sinne ausmachen und ſo der hergebrachten groͤb¬
ſten Tendenz froͤhnen! Wohlan! Du haſt Dich
kurz entſchloſſen und alles Gegenſtaͤndliche hinaus¬
geworfen! Dieſe fleißigen Schraffirungen ſind
Schraffirungen an ſich, in der vollkommenſten
Freiheit des Schoͤnen ſchwebend, dies iſt der
Fleiß, die Zweckmaͤßigkeit, die Klarheit an ſich,
in der holdeſten, reizendſten Abſtraction! Und
dieſe Verknotungen, aus denen Du Dich auf ſo
treffliche Weiſe gezogen haſt, ſind ſie nicht der
triumphirende Beweis, wie Logik und Kunſt¬
maͤßigkeit erſt im Weſenloſen recht ihre Siege
feiern, im Nichts ſich Leidenſchaften und Verfin¬
ſterungen gebaͤren und ſie glaͤnzend uͤberwinden?
Aus Nichts hat Gott die Welt geſchaffen! Sie
iſt ein krankhafter Abſceß dieſes Nichts, ein Ab¬
fall Gottes von ſich ſelbſt. Das Schoͤne, das
poetiſche, das Goͤttliche beſteht eben darin, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="26"/>
Zweckma&#x0364;ßigkeit, Klarheit, gelungener Ab&#x017F;icht!<lb/>
Die&#x017F;e Million Striche und Strichelchen, zart und<lb/>
gei&#x017F;treich oder fe&#x017F;t und markig, wie &#x017F;ie &#x017F;ind, in<lb/>
einer Land&#x017F;chaft auf materielle Wei&#x017F;e placirt,<lb/>
wu&#x0364;rden allerdings ein &#x017F;ogenanntes Bild im alten<lb/>
Sinne ausmachen und &#x017F;o der hergebrachten gro&#x0364;<lb/>
&#x017F;ten Tendenz fro&#x0364;hnen! Wohlan! Du ha&#x017F;t Dich<lb/>
kurz ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und alles Gegen&#x017F;ta&#x0364;ndliche hinaus¬<lb/>
geworfen! Die&#x017F;e fleißigen Schraffirungen &#x017F;ind<lb/>
Schraffirungen an &#x017F;ich, in der vollkommen&#x017F;ten<lb/>
Freiheit des Scho&#x0364;nen &#x017F;chwebend, dies i&#x017F;t der<lb/>
Fleiß, die Zweckma&#x0364;ßigkeit, die Klarheit an &#x017F;ich,<lb/>
in der holde&#x017F;ten, reizend&#x017F;ten Ab&#x017F;traction! Und<lb/>
die&#x017F;e Verknotungen, aus denen Du Dich auf &#x017F;o<lb/>
treffliche Wei&#x017F;e gezogen ha&#x017F;t, &#x017F;ind &#x017F;ie nicht der<lb/>
triumphirende Beweis, wie Logik und Kun&#x017F;<lb/>
ma&#x0364;ßigkeit er&#x017F;t im We&#x017F;enlo&#x017F;en recht ihre Siege<lb/>
feiern, im Nichts &#x017F;ich Leiden&#x017F;chaften und Verfin¬<lb/>
&#x017F;terungen geba&#x0364;ren und &#x017F;ie gla&#x0364;nzend u&#x0364;berwinden?<lb/>
Aus Nichts hat Gott die Welt ge&#x017F;chaffen! Sie<lb/>
i&#x017F;t ein krankhafter Ab&#x017F;ceß die&#x017F;es Nichts, ein Ab¬<lb/>
fall Gottes von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Das Scho&#x0364;ne, das<lb/>
poeti&#x017F;che, das Go&#x0364;ttliche be&#x017F;teht eben darin, daß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0036] Zweckmaͤßigkeit, Klarheit, gelungener Abſicht! Dieſe Million Striche und Strichelchen, zart und geiſtreich oder feſt und markig, wie ſie ſind, in einer Landſchaft auf materielle Weiſe placirt, wuͤrden allerdings ein ſogenanntes Bild im alten Sinne ausmachen und ſo der hergebrachten groͤb¬ ſten Tendenz froͤhnen! Wohlan! Du haſt Dich kurz entſchloſſen und alles Gegenſtaͤndliche hinaus¬ geworfen! Dieſe fleißigen Schraffirungen ſind Schraffirungen an ſich, in der vollkommenſten Freiheit des Schoͤnen ſchwebend, dies iſt der Fleiß, die Zweckmaͤßigkeit, die Klarheit an ſich, in der holdeſten, reizendſten Abſtraction! Und dieſe Verknotungen, aus denen Du Dich auf ſo treffliche Weiſe gezogen haſt, ſind ſie nicht der triumphirende Beweis, wie Logik und Kunſt¬ maͤßigkeit erſt im Weſenloſen recht ihre Siege feiern, im Nichts ſich Leidenſchaften und Verfin¬ ſterungen gebaͤren und ſie glaͤnzend uͤberwinden? Aus Nichts hat Gott die Welt geſchaffen! Sie iſt ein krankhafter Abſceß dieſes Nichts, ein Ab¬ fall Gottes von ſich ſelbſt. Das Schoͤne, das poetiſche, das Goͤttliche beſteht eben darin, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/36
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/36>, abgerufen am 23.11.2024.