mit in die Fremde genommen haben und mit welchem Buche der Erinnerung, als Ihrer letzten Habseligkeit, Sie sich wieder aus dem Staube machen! Ich laufe mit den Sachen zurück und rufe: 'Seht, Leute! Unser Mensch schlägt sich mit seinem Jugendbuche durch Regen und Sturm, wie Vetter Camoens mit seinem Gedichte durch die Wellen! Der Spaß wird köstlich!' Dortchen nimmt das Buch und besieht es von allen Sei¬ ten. 'Ach du lieber Himmel,' ruft sie, 'das arme Buch ist ja durch und durch naß und droht zu Grunde zu gehen! Das muß sogleich getrocknet werden!' Es wird ein frisches Feuer in den Ofen gemacht, das Mädchen setzt sich auf ein Tabouret¬ chen davor und hält das Buch, die Blätter aus¬ einander schüttelnd und es umwendend und keh¬ rend, sorgfältig an das Feuer und in weniger als einer Viertelstunde ist das tapfere Werk heil und gerettet. Nun aber lasen wir noch länger als zwei Stunden darin, an verschiedenen Stel¬ len, und wechselten mit dem Vorlesen ab, und diesen ganzen Vormittag hab' ich auf meiner Stube darin gelesen. Auf den letzten Blättern
mit in die Fremde genommen haben und mit welchem Buche der Erinnerung, als Ihrer letzten Habſeligkeit, Sie ſich wieder aus dem Staube machen! Ich laufe mit den Sachen zuruͤck und rufe: ’Seht, Leute! Unſer Menſch ſchlaͤgt ſich mit ſeinem Jugendbuche durch Regen und Sturm, wie Vetter Camoens mit ſeinem Gedichte durch die Wellen! Der Spaß wird koͤſtlich!‘ Dortchen nimmt das Buch und beſieht es von allen Sei¬ ten. ’Ach du lieber Himmel,‘ ruft ſie, ’das arme Buch iſt ja durch und durch naß und droht zu Grunde zu gehen! Das muß ſogleich getrocknet werden!‘ Es wird ein friſches Feuer in den Ofen gemacht, das Maͤdchen ſetzt ſich auf ein Tabouret¬ chen davor und haͤlt das Buch, die Blaͤtter aus¬ einander ſchuͤttelnd und es umwendend und keh¬ rend, ſorgfaͤltig an das Feuer und in weniger als einer Viertelſtunde iſt das tapfere Werk heil und gerettet. Nun aber laſen wir noch laͤnger als zwei Stunden darin, an verſchiedenen Stel¬ len, und wechſelten mit dem Vorleſen ab, und dieſen ganzen Vormittag hab' ich auf meiner Stube darin geleſen. Auf den letzten Blaͤttern
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0338"n="328"/>
mit in die Fremde genommen haben und mit<lb/>
welchem Buche der Erinnerung, als Ihrer letzten<lb/>
Habſeligkeit, Sie ſich wieder aus dem Staube<lb/>
machen! Ich laufe mit den Sachen zuruͤck und<lb/>
rufe: ’Seht, Leute! Unſer Menſch ſchlaͤgt ſich mit<lb/>ſeinem Jugendbuche durch Regen und Sturm,<lb/>
wie Vetter Camoens mit ſeinem Gedichte durch<lb/>
die Wellen! Der Spaß wird koͤſtlich!‘ Dortchen<lb/>
nimmt das Buch und beſieht es von allen Sei¬<lb/>
ten. ’Ach du lieber Himmel,‘ ruft ſie, ’das arme<lb/>
Buch iſt ja durch und durch naß und droht zu<lb/>
Grunde zu gehen! Das muß ſogleich getrocknet<lb/>
werden!‘ Es wird ein friſches Feuer in den Ofen<lb/>
gemacht, das Maͤdchen ſetzt ſich auf ein Tabouret¬<lb/>
chen davor und haͤlt das Buch, die Blaͤtter aus¬<lb/>
einander ſchuͤttelnd und es umwendend und keh¬<lb/>
rend, ſorgfaͤltig an das Feuer und in weniger<lb/>
als einer Viertelſtunde iſt das tapfere Werk heil<lb/>
und gerettet. Nun aber laſen wir noch laͤnger<lb/>
als zwei Stunden darin, an verſchiedenen Stel¬<lb/>
len, und wechſelten mit dem Vorleſen ab, und<lb/>
dieſen ganzen Vormittag hab' ich auf meiner<lb/>
Stube darin geleſen. Auf den letzten Blaͤttern<lb/></p></div></body></text></TEI>
[328/0338]
mit in die Fremde genommen haben und mit
welchem Buche der Erinnerung, als Ihrer letzten
Habſeligkeit, Sie ſich wieder aus dem Staube
machen! Ich laufe mit den Sachen zuruͤck und
rufe: ’Seht, Leute! Unſer Menſch ſchlaͤgt ſich mit
ſeinem Jugendbuche durch Regen und Sturm,
wie Vetter Camoens mit ſeinem Gedichte durch
die Wellen! Der Spaß wird koͤſtlich!‘ Dortchen
nimmt das Buch und beſieht es von allen Sei¬
ten. ’Ach du lieber Himmel,‘ ruft ſie, ’das arme
Buch iſt ja durch und durch naß und droht zu
Grunde zu gehen! Das muß ſogleich getrocknet
werden!‘ Es wird ein friſches Feuer in den Ofen
gemacht, das Maͤdchen ſetzt ſich auf ein Tabouret¬
chen davor und haͤlt das Buch, die Blaͤtter aus¬
einander ſchuͤttelnd und es umwendend und keh¬
rend, ſorgfaͤltig an das Feuer und in weniger
als einer Viertelſtunde iſt das tapfere Werk heil
und gerettet. Nun aber laſen wir noch laͤnger
als zwei Stunden darin, an verſchiedenen Stel¬
len, und wechſelten mit dem Vorleſen ab, und
dieſen ganzen Vormittag hab' ich auf meiner
Stube darin geleſen. Auf den letzten Blaͤttern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/338>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.