war vergessen, selbst die warme seidene Halsbinde nicht. Er wusch sich erst Gesicht und Hände und kämmte sein wirres Haar; dann kleidete er sich langsam und bedenklich an, und als er fertig war, getraute er sich nicht hervorzukommen, son¬ dern setzte sich auf einen Stuhl und stellte aller¬ lei Betrachtungen an. Da fiel sein Blick auf seine schlechten beschmutzten Kleider, die am Bo¬ den lagen, und er schämte sich, daß er sie nun da lassen sollte, und wußte nicht was mit ihnen zu beginnen sei, bis er sie wieder anzöge. "Wahr¬ haftig," sagte er, "ganz wie ich es geträumt! Nun, zum Teufel, so lange das Leben so alle Traumgedichte überbietet, wollen wir munter sein!" Er glaubte sich endlich am besten aus der Sache zu ziehen, wenn er die armen Kleidchen ordentlich zusammenlegte. Er legte sie säuber¬ lich auf einen Stuhl in der Ecke, stellte die zer¬ rissenen Stiefelchen ehrbar unter den Stuhl, als ob es die feinste Fußbekleidung wäre, und machte sich endlich auf den Weg nach dem Saale.
Dort fand er unversehens den Grafen vor nebst einem stattlichen katholischen Priester, die
war vergeſſen, ſelbſt die warme ſeidene Halsbinde nicht. Er wuſch ſich erſt Geſicht und Haͤnde und kaͤmmte ſein wirres Haar; dann kleidete er ſich langſam und bedenklich an, und als er fertig war, getraute er ſich nicht hervorzukommen, ſon¬ dern ſetzte ſich auf einen Stuhl und ſtellte aller¬ lei Betrachtungen an. Da fiel ſein Blick auf ſeine ſchlechten beſchmutzten Kleider, die am Bo¬ den lagen, und er ſchaͤmte ſich, daß er ſie nun da laſſen ſollte, und wußte nicht was mit ihnen zu beginnen ſei, bis er ſie wieder anzoͤge. »Wahr¬ haftig,« ſagte er, »ganz wie ich es getraͤumt! Nun, zum Teufel, ſo lange das Leben ſo alle Traumgedichte uͤberbietet, wollen wir munter ſein!« Er glaubte ſich endlich am beſten aus der Sache zu ziehen, wenn er die armen Kleidchen ordentlich zuſammenlegte. Er legte ſie ſaͤuber¬ lich auf einen Stuhl in der Ecke, ſtellte die zer¬ riſſenen Stiefelchen ehrbar unter den Stuhl, als ob es die feinſte Fußbekleidung waͤre, und machte ſich endlich auf den Weg nach dem Saale.
Dort fand er unverſehens den Grafen vor nebſt einem ſtattlichen katholiſchen Prieſter, die
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0332"n="322"/>
war vergeſſen, ſelbſt die warme ſeidene Halsbinde<lb/>
nicht. Er wuſch ſich erſt Geſicht und Haͤnde und<lb/>
kaͤmmte ſein wirres Haar; dann kleidete er ſich<lb/>
langſam und bedenklich an, und als er fertig<lb/>
war, getraute er ſich nicht hervorzukommen, ſon¬<lb/>
dern ſetzte ſich auf einen Stuhl und ſtellte aller¬<lb/>
lei Betrachtungen an. Da fiel ſein Blick auf<lb/>ſeine ſchlechten beſchmutzten Kleider, die am Bo¬<lb/>
den lagen, und er ſchaͤmte ſich, daß er ſie nun<lb/>
da laſſen ſollte, und wußte nicht was mit ihnen<lb/>
zu beginnen ſei, bis er ſie wieder anzoͤge. »Wahr¬<lb/>
haftig,« ſagte er, »ganz wie ich es getraͤumt!<lb/>
Nun, zum Teufel, ſo lange das Leben ſo alle<lb/>
Traumgedichte uͤberbietet, wollen wir munter<lb/>ſein!« Er glaubte ſich endlich am beſten aus der<lb/>
Sache zu ziehen, wenn er die armen Kleidchen<lb/>
ordentlich zuſammenlegte. Er legte ſie ſaͤuber¬<lb/>
lich auf einen Stuhl in der Ecke, ſtellte die zer¬<lb/>
riſſenen Stiefelchen ehrbar unter den Stuhl, als<lb/>
ob es die feinſte Fußbekleidung waͤre, und machte<lb/>ſich endlich auf den Weg nach dem Saale.</p><lb/><p>Dort fand er unverſehens den Grafen vor<lb/>
nebſt einem ſtattlichen katholiſchen Prieſter, die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[322/0332]
war vergeſſen, ſelbſt die warme ſeidene Halsbinde
nicht. Er wuſch ſich erſt Geſicht und Haͤnde und
kaͤmmte ſein wirres Haar; dann kleidete er ſich
langſam und bedenklich an, und als er fertig
war, getraute er ſich nicht hervorzukommen, ſon¬
dern ſetzte ſich auf einen Stuhl und ſtellte aller¬
lei Betrachtungen an. Da fiel ſein Blick auf
ſeine ſchlechten beſchmutzten Kleider, die am Bo¬
den lagen, und er ſchaͤmte ſich, daß er ſie nun
da laſſen ſollte, und wußte nicht was mit ihnen
zu beginnen ſei, bis er ſie wieder anzoͤge. »Wahr¬
haftig,« ſagte er, »ganz wie ich es getraͤumt!
Nun, zum Teufel, ſo lange das Leben ſo alle
Traumgedichte uͤberbietet, wollen wir munter
ſein!« Er glaubte ſich endlich am beſten aus der
Sache zu ziehen, wenn er die armen Kleidchen
ordentlich zuſammenlegte. Er legte ſie ſaͤuber¬
lich auf einen Stuhl in der Ecke, ſtellte die zer¬
riſſenen Stiefelchen ehrbar unter den Stuhl, als
ob es die feinſte Fußbekleidung waͤre, und machte
ſich endlich auf den Weg nach dem Saale.
Dort fand er unverſehens den Grafen vor
nebſt einem ſtattlichen katholiſchen Prieſter, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/332>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.