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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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durch diese Verwirrung um das Dasein zu kom¬
men. Hiergegen hilft kein Christenthum; denn
der bekehrte Sünder ist erst recht eitel auf seine
Reue und auf die Gnade des Herrn und wird
seinen neuen Tick darin finden, über die Eitelkeit
der Welt zu jammern. Gegen alles das Uebel,
was von diesem Mehlstaub Eitelkeit stammt, hilft
nur die einfache rein sachliche Gegenwirkung; die
Eitelkeit immer und allüberall zu verletzen, sie
bei der Nase zu nehmen und ihr die eigene
Zwecklosigkeit deutlich zu machen, d. h. in sofern
als sie nicht die unschuldige Beschäftigung mit
der eigenen Person, sondern die Reibung an den
Mitmenschen zu ihrer Befriedigung wählt. In
der That sieht man oft, wie ein einziger Mensch,
der nicht eitel ist oder doch das Gift unschädlich
zu verbergen weiß, wenn er nur will, einen fri¬
schen Luftzug unter die Leute bringt, und wo
mehrere zusammentreffen, die sich nur leidlich zu
mäßigen vermögen, wird sogleich Ruhe, Ehre,
Offenheit und Sicherheit herrschen und etwas Er¬
kleckliches gethan werden." "Ist die Eitelkeit, in¬
dem sie in der Zudringlichkeit, in der gewaltsa¬

durch dieſe Verwirrung um das Daſein zu kom¬
men. Hiergegen hilft kein Chriſtenthum; denn
der bekehrte Suͤnder iſt erſt recht eitel auf ſeine
Reue und auf die Gnade des Herrn und wird
ſeinen neuen Tick darin finden, uͤber die Eitelkeit
der Welt zu jammern. Gegen alles das Uebel,
was von dieſem Mehlſtaub Eitelkeit ſtammt, hilft
nur die einfache rein ſachliche Gegenwirkung; die
Eitelkeit immer und alluͤberall zu verletzen, ſie
bei der Naſe zu nehmen und ihr die eigene
Zweckloſigkeit deutlich zu machen, d. h. in ſofern
als ſie nicht die unſchuldige Beſchaͤftigung mit
der eigenen Perſon, ſondern die Reibung an den
Mitmenſchen zu ihrer Befriedigung waͤhlt. In
der That ſieht man oft, wie ein einziger Menſch,
der nicht eitel iſt oder doch das Gift unſchaͤdlich
zu verbergen weiß, wenn er nur will, einen fri¬
ſchen Luftzug unter die Leute bringt, und wo
mehrere zuſammentreffen, die ſich nur leidlich zu
maͤßigen vermoͤgen, wird ſogleich Ruhe, Ehre,
Offenheit und Sicherheit herrſchen und etwas Er¬
kleckliches gethan werden.« »Iſt die Eitelkeit, in¬
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[286/0296] durch dieſe Verwirrung um das Daſein zu kom¬ men. Hiergegen hilft kein Chriſtenthum; denn der bekehrte Suͤnder iſt erſt recht eitel auf ſeine Reue und auf die Gnade des Herrn und wird ſeinen neuen Tick darin finden, uͤber die Eitelkeit der Welt zu jammern. Gegen alles das Uebel, was von dieſem Mehlſtaub Eitelkeit ſtammt, hilft nur die einfache rein ſachliche Gegenwirkung; die Eitelkeit immer und alluͤberall zu verletzen, ſie bei der Naſe zu nehmen und ihr die eigene Zweckloſigkeit deutlich zu machen, d. h. in ſofern als ſie nicht die unſchuldige Beſchaͤftigung mit der eigenen Perſon, ſondern die Reibung an den Mitmenſchen zu ihrer Befriedigung waͤhlt. In der That ſieht man oft, wie ein einziger Menſch, der nicht eitel iſt oder doch das Gift unſchaͤdlich zu verbergen weiß, wenn er nur will, einen fri¬ ſchen Luftzug unter die Leute bringt, und wo mehrere zuſammentreffen, die ſich nur leidlich zu maͤßigen vermoͤgen, wird ſogleich Ruhe, Ehre, Offenheit und Sicherheit herrſchen und etwas Er¬ kleckliches gethan werden.« »Iſt die Eitelkeit, in¬ dem ſie in der Zudringlichkeit, in der gewaltſa¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/296>, abgerufen am 22.11.2024.