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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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hatte ihn aber noch nicht wieder gesehen. Eine
tiefe Verwirrung und Scham, welche ihn in der
starken Abspannung nach jenen aufgeregten Tagen
befiel, mischte sich mit einer Art trotziger Scheu,
sich an das Krankenbett zu drängen, und als die
Lebenskräfte des Kranken sich wieder gesammelt,
fragte er wohl nach Heinrich, aber er verlangte
ihn nicht zu sehen. Ein bitteres Schmollen wal¬
tete zwischen Beiden, welches zwar bei Jedem
mehr gegen sich selbst gerichtet war, aber doch
den Anderen mit hineinzog, da ohne denselben die
begangene gefährliche Thorheit nicht möglich ge¬
worden wäre. Und wie eine sündliche Thorheit,
in Aufregung und Verblendung hereingebrochen
und für einmal noch gnädig ablaufend, doch den
Vorhang lüftet vor einem unliebsamen Dunkel,
das in uns zu wogen scheint, so zeigte das Vor¬
gefallene dem melancholischen grünen Heinrich
eine dunkle Leere in sich selber, in welcher seine
eigene Gestalt mit tausend Fehlern und Irrthü¬
mern behaftet ganz unleidlich auf und nieder
tauchte.

Er wohnte längst nicht mehr in jenem behag¬

hatte ihn aber noch nicht wieder geſehen. Eine
tiefe Verwirrung und Scham, welche ihn in der
ſtarken Abſpannung nach jenen aufgeregten Tagen
befiel, miſchte ſich mit einer Art trotziger Scheu,
ſich an das Krankenbett zu draͤngen, und als die
Lebenskraͤfte des Kranken ſich wieder geſammelt,
fragte er wohl nach Heinrich, aber er verlangte
ihn nicht zu ſehen. Ein bitteres Schmollen wal¬
tete zwiſchen Beiden, welches zwar bei Jedem
mehr gegen ſich ſelbſt gerichtet war, aber doch
den Anderen mit hineinzog, da ohne denſelben die
begangene gefaͤhrliche Thorheit nicht moͤglich ge¬
worden waͤre. Und wie eine ſuͤndliche Thorheit,
in Aufregung und Verblendung hereingebrochen
und fuͤr einmal noch gnaͤdig ablaufend, doch den
Vorhang luͤftet vor einem unliebſamen Dunkel,
das in uns zu wogen ſcheint, ſo zeigte das Vor¬
gefallene dem melancholiſchen gruͤnen Heinrich
eine dunkle Leere in ſich ſelber, in welcher ſeine
eigene Geſtalt mit tauſend Fehlern und Irrthuͤ¬
mern behaftet ganz unleidlich auf und nieder
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[19/0029] hatte ihn aber noch nicht wieder geſehen. Eine tiefe Verwirrung und Scham, welche ihn in der ſtarken Abſpannung nach jenen aufgeregten Tagen befiel, miſchte ſich mit einer Art trotziger Scheu, ſich an das Krankenbett zu draͤngen, und als die Lebenskraͤfte des Kranken ſich wieder geſammelt, fragte er wohl nach Heinrich, aber er verlangte ihn nicht zu ſehen. Ein bitteres Schmollen wal¬ tete zwiſchen Beiden, welches zwar bei Jedem mehr gegen ſich ſelbſt gerichtet war, aber doch den Anderen mit hineinzog, da ohne denſelben die begangene gefaͤhrliche Thorheit nicht moͤglich ge¬ worden waͤre. Und wie eine ſuͤndliche Thorheit, in Aufregung und Verblendung hereingebrochen und fuͤr einmal noch gnaͤdig ablaufend, doch den Vorhang luͤftet vor einem unliebſamen Dunkel, das in uns zu wogen ſcheint, ſo zeigte das Vor¬ gefallene dem melancholiſchen gruͤnen Heinrich eine dunkle Leere in ſich ſelber, in welcher ſeine eigene Geſtalt mit tauſend Fehlern und Irrthuͤ¬ mern behaftet ganz unleidlich auf und nieder tauchte. Er wohnte laͤngſt nicht mehr in jenem behag¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/29>, abgerufen am 23.11.2024.