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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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noch den Seufzer entlockte: Morgenroth bringt
ein nasses Abendbrot! Jenes verkündete einen
unzweifelhaften tüchtigen Regentag, und der wan¬
dernde Heinrich dachte mit Schrecken an die kom¬
menden Fluthen und daß er durchnäßt bis auf
die Haut in die zweite Nacht hinein gehen müsse.
Die Nässe und der Schmutz besiegeln jeglichen
schlechten Humor des Schicksals und nehmen dem
Verlassenen noch den letzten Trost, sich etwa er¬
schöpft an die trockene Erde zu werfen, wo es
Niemand sieht. Ueberall kältet ihm die bitterliche
Feuchte entgegen und er ist gezwungen, aufrecht
über sie hin zu tanzen und doch immer zu ver¬
sinken.

Bald verhüllte auch ein dichtes Nebeltuch alle
die Morgenpracht, und das graue Tuch begann
sich langsam in nasse Fäden zu entfasern, bis ein
gleichmäßiger starker Regen weit und breit her¬
nieder fuhr, welcher den ganzen Tag anhielt.
Nur manchmal wechselte das naßkalte Einerlei
mit noch stärkeren Wassergüssen, welche einen
kräftigen Rhythmus in das Schlamm- und Was¬
serleben brachten, das bald alles Land und alle

noch den Seufzer entlockte: Morgenroth bringt
ein naſſes Abendbrot! Jenes verkuͤndete einen
unzweifelhaften tuͤchtigen Regentag, und der wan¬
dernde Heinrich dachte mit Schrecken an die kom¬
menden Fluthen und daß er durchnaͤßt bis auf
die Haut in die zweite Nacht hinein gehen muͤſſe.
Die Naͤſſe und der Schmutz beſiegeln jeglichen
ſchlechten Humor des Schickſals und nehmen dem
Verlaſſenen noch den letzten Troſt, ſich etwa er¬
ſchoͤpft an die trockene Erde zu werfen, wo es
Niemand ſieht. Ueberall kaͤltet ihm die bitterliche
Feuchte entgegen und er iſt gezwungen, aufrecht
uͤber ſie hin zu tanzen und doch immer zu ver¬
ſinken.

Bald verhuͤllte auch ein dichtes Nebeltuch alle
die Morgenpracht, und das graue Tuch begann
ſich langſam in naſſe Faͤden zu entfaſern, bis ein
gleichmaͤßiger ſtarker Regen weit und breit her¬
nieder fuhr, welcher den ganzen Tag anhielt.
Nur manchmal wechſelte das naßkalte Einerlei
mit noch ſtaͤrkeren Waſſerguͤſſen, welche einen
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[277/0287] noch den Seufzer entlockte: Morgenroth bringt ein naſſes Abendbrot! Jenes verkuͤndete einen unzweifelhaften tuͤchtigen Regentag, und der wan¬ dernde Heinrich dachte mit Schrecken an die kom¬ menden Fluthen und daß er durchnaͤßt bis auf die Haut in die zweite Nacht hinein gehen muͤſſe. Die Naͤſſe und der Schmutz beſiegeln jeglichen ſchlechten Humor des Schickſals und nehmen dem Verlaſſenen noch den letzten Troſt, ſich etwa er¬ ſchoͤpft an die trockene Erde zu werfen, wo es Niemand ſieht. Ueberall kaͤltet ihm die bitterliche Feuchte entgegen und er iſt gezwungen, aufrecht uͤber ſie hin zu tanzen und doch immer zu ver¬ ſinken. Bald verhuͤllte auch ein dichtes Nebeltuch alle die Morgenpracht, und das graue Tuch begann ſich langſam in naſſe Faͤden zu entfaſern, bis ein gleichmaͤßiger ſtarker Regen weit und breit her¬ nieder fuhr, welcher den ganzen Tag anhielt. Nur manchmal wechſelte das naßkalte Einerlei mit noch ſtaͤrkeren Waſſerguͤſſen, welche einen kraͤftigen Rhythmus in das Schlamm- und Waſ¬ ſerleben brachten, das bald alles Land und alle

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/287>, abgerufen am 22.11.2024.