Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Blume hatte ihr eigenes Männchen, und das
kreisende Leuchten in der dunklen Tiefe sah sich
von dem hohen Bretterwege wie ein unterirdischer
Sternhimmel an, nur daß er grün war und die
Sterne in allen Farben strahlten. Heinrich ging
entzückt auf seiner Hängebrücke weiter und schlug
sich tapfer durch die Buchen- und Eichenkronen,
manchmal kam er in eine Föhrengruppe hinein,
welche etwas lichter war, und das purpurrothe
von der Sonne durchglühte, starkduftende Holz¬
werk der Fichtenkronen bot einen fabelhaften An¬
blick und Aufenthalt, da es wie künstlich bearbeitet,
gezimmert und mit wunderlichem Bildwerk verziert
erschien und doch natürliches Astwerk war.
Manchmal führte der Steg auch ganz über die
Bäume hinweg unter den offenen Himmel und
Sonnenschein, und Heinrich stellte sich auf das
schwanke Geländer, um zu sehen, wo es hinaus¬
ginge; aber nichts war zu erblicken, als ein end¬
los Meer von grünen Baumwipfeln, so weit das
Auge reichte, auf dem der heiße Sommertag flim¬
merte und Abertausende von wilden Tauben,
Hähern, Mandelkrähen, Finken, Weihen und

Blume hatte ihr eigenes Maͤnnchen, und das
kreiſende Leuchten in der dunklen Tiefe ſah ſich
von dem hohen Bretterwege wie ein unterirdiſcher
Sternhimmel an, nur daß er gruͤn war und die
Sterne in allen Farben ſtrahlten. Heinrich ging
entzuͤckt auf ſeiner Haͤngebruͤcke weiter und ſchlug
ſich tapfer durch die Buchen- und Eichenkronen,
manchmal kam er in eine Foͤhrengruppe hinein,
welche etwas lichter war, und das purpurrothe
von der Sonne durchgluͤhte, ſtarkduftende Holz¬
werk der Fichtenkronen bot einen fabelhaften An¬
blick und Aufenthalt, da es wie kuͤnſtlich bearbeitet,
gezimmert und mit wunderlichem Bildwerk verziert
erſchien und doch natuͤrliches Aſtwerk war.
Manchmal fuͤhrte der Steg auch ganz uͤber die
Baͤume hinweg unter den offenen Himmel und
Sonnenſchein, und Heinrich ſtellte ſich auf das
ſchwanke Gelaͤnder, um zu ſehen, wo es hinaus¬
ginge; aber nichts war zu erblicken, als ein end¬
los Meer von gruͤnen Baumwipfeln, ſo weit das
Auge reichte, auf dem der heiße Sommertag flim¬
merte und Abertauſende von wilden Tauben,
Haͤhern, Mandelkraͤhen, Finken, Weihen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="233"/>
Blume hatte ihr eigenes Ma&#x0364;nnchen, und das<lb/>
krei&#x017F;ende Leuchten in der dunklen Tiefe &#x017F;ah &#x017F;ich<lb/>
von dem hohen Bretterwege wie ein unterirdi&#x017F;cher<lb/>
Sternhimmel an, nur daß er gru&#x0364;n war und die<lb/>
Sterne in allen Farben &#x017F;trahlten. Heinrich ging<lb/>
entzu&#x0364;ckt auf &#x017F;einer Ha&#x0364;ngebru&#x0364;cke weiter und &#x017F;chlug<lb/>
&#x017F;ich tapfer durch die Buchen- und Eichenkronen,<lb/>
manchmal kam er in eine Fo&#x0364;hrengruppe hinein,<lb/>
welche etwas lichter war, und das purpurrothe<lb/>
von der Sonne durchglu&#x0364;hte, &#x017F;tarkduftende Holz¬<lb/>
werk der Fichtenkronen bot einen fabelhaften An¬<lb/>
blick und Aufenthalt, da es wie ku&#x0364;n&#x017F;tlich bearbeitet,<lb/>
gezimmert und mit wunderlichem Bildwerk verziert<lb/>
er&#x017F;chien und doch natu&#x0364;rliches A&#x017F;twerk war.<lb/>
Manchmal fu&#x0364;hrte der Steg auch ganz u&#x0364;ber die<lb/>
Ba&#x0364;ume hinweg unter den offenen Himmel und<lb/>
Sonnen&#x017F;chein, und Heinrich &#x017F;tellte &#x017F;ich auf das<lb/>
&#x017F;chwanke Gela&#x0364;nder, um zu &#x017F;ehen, wo es hinaus¬<lb/>
ginge; aber nichts war zu erblicken, als ein end¬<lb/>
los Meer von gru&#x0364;nen Baumwipfeln, &#x017F;o weit das<lb/>
Auge reichte, auf dem der heiße Sommertag flim¬<lb/>
merte und Abertau&#x017F;ende von wilden Tauben,<lb/>
Ha&#x0364;hern, Mandelkra&#x0364;hen, Finken, Weihen und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0243] Blume hatte ihr eigenes Maͤnnchen, und das kreiſende Leuchten in der dunklen Tiefe ſah ſich von dem hohen Bretterwege wie ein unterirdiſcher Sternhimmel an, nur daß er gruͤn war und die Sterne in allen Farben ſtrahlten. Heinrich ging entzuͤckt auf ſeiner Haͤngebruͤcke weiter und ſchlug ſich tapfer durch die Buchen- und Eichenkronen, manchmal kam er in eine Foͤhrengruppe hinein, welche etwas lichter war, und das purpurrothe von der Sonne durchgluͤhte, ſtarkduftende Holz¬ werk der Fichtenkronen bot einen fabelhaften An¬ blick und Aufenthalt, da es wie kuͤnſtlich bearbeitet, gezimmert und mit wunderlichem Bildwerk verziert erſchien und doch natuͤrliches Aſtwerk war. Manchmal fuͤhrte der Steg auch ganz uͤber die Baͤume hinweg unter den offenen Himmel und Sonnenſchein, und Heinrich ſtellte ſich auf das ſchwanke Gelaͤnder, um zu ſehen, wo es hinaus¬ ginge; aber nichts war zu erblicken, als ein end¬ los Meer von gruͤnen Baumwipfeln, ſo weit das Auge reichte, auf dem der heiße Sommertag flim¬ merte und Abertauſende von wilden Tauben, Haͤhern, Mandelkraͤhen, Finken, Weihen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/243
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/243>, abgerufen am 24.11.2024.