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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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schlichter, und darnach ihr Gedeihen berechnen.
Wahrhaft melancholisch aber ist es anzusehen,
wenn sie zuweilen ihre Betten sonnt; anstatt sie
mit Hülfe Anderer auf unseren geräumigen Platz
hinzutragen, wo der große Brunnen steht, schleppt
sie dieselben allein auf das hohe schwarze Dach
Eures Hauses, breitet sie dort an der Sonnen¬
seite aus, geht emsig auf dem steilen Dache um¬
her, ohne Schuhe zwar, aber bis an den Rand
hin, klopft die Stücke aus, kehrt sie, schüttelt sie
und hantirt dermaßen seelenallein in dieser
schwindligen Höhe unter dem offenen Himmel,
daß es höchst verwegen und sonderbar anzusehen
ist, zumal wenn sie, einen Augenblick innehaltend,
die Hand über die Augen hält und da hoch oben
in der Sonne stehend in die weite Ferne hinaus
sieht. Ich konnte es einmal nicht länger ansehen
von meinem Hofe aus, wo ich eben einen Wagen
lackirte, ging hinüber, stieg bis zum Dache hinauf
und hielt unter der Luke eine Anrede an sie, in¬
dem ich ihr die Gefahr ihres Thuns vorstellte
und bat, doch die Hülfe anderer Leute in Anspruch
zu nehmen. Sie lächelte aber nur und bedankte

ſchlichter, und darnach ihr Gedeihen berechnen.
Wahrhaft melancholiſch aber iſt es anzuſehen,
wenn ſie zuweilen ihre Betten ſonnt; anſtatt ſie
mit Huͤlfe Anderer auf unſeren geraͤumigen Platz
hinzutragen, wo der große Brunnen ſteht, ſchleppt
ſie dieſelben allein auf das hohe ſchwarze Dach
Eures Hauſes, breitet ſie dort an der Sonnen¬
ſeite aus, geht emſig auf dem ſteilen Dache um¬
her, ohne Schuhe zwar, aber bis an den Rand
hin, klopft die Stuͤcke aus, kehrt ſie, ſchuͤttelt ſie
und hantirt dermaßen ſeelenallein in dieſer
ſchwindligen Hoͤhe unter dem offenen Himmel,
daß es hoͤchſt verwegen und ſonderbar anzuſehen
iſt, zumal wenn ſie, einen Augenblick innehaltend,
die Hand uͤber die Augen haͤlt und da hoch oben
in der Sonne ſtehend in die weite Ferne hinaus
ſieht. Ich konnte es einmal nicht laͤnger anſehen
von meinem Hofe aus, wo ich eben einen Wagen
lackirte, ging hinuͤber, ſtieg bis zum Dache hinauf
und hielt unter der Luke eine Anrede an ſie, in¬
dem ich ihr die Gefahr ihres Thuns vorſtellte
und bat, doch die Huͤlfe anderer Leute in Anſpruch
zu nehmen. Sie laͤchelte aber nur und bedankte

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[216/0226] ſchlichter, und darnach ihr Gedeihen berechnen. Wahrhaft melancholiſch aber iſt es anzuſehen, wenn ſie zuweilen ihre Betten ſonnt; anſtatt ſie mit Huͤlfe Anderer auf unſeren geraͤumigen Platz hinzutragen, wo der große Brunnen ſteht, ſchleppt ſie dieſelben allein auf das hohe ſchwarze Dach Eures Hauſes, breitet ſie dort an der Sonnen¬ ſeite aus, geht emſig auf dem ſteilen Dache um¬ her, ohne Schuhe zwar, aber bis an den Rand hin, klopft die Stuͤcke aus, kehrt ſie, ſchuͤttelt ſie und hantirt dermaßen ſeelenallein in dieſer ſchwindligen Hoͤhe unter dem offenen Himmel, daß es hoͤchſt verwegen und ſonderbar anzuſehen iſt, zumal wenn ſie, einen Augenblick innehaltend, die Hand uͤber die Augen haͤlt und da hoch oben in der Sonne ſtehend in die weite Ferne hinaus ſieht. Ich konnte es einmal nicht laͤnger anſehen von meinem Hofe aus, wo ich eben einen Wagen lackirte, ging hinuͤber, ſtieg bis zum Dache hinauf und hielt unter der Luke eine Anrede an ſie, in¬ dem ich ihr die Gefahr ihres Thuns vorſtellte und bat, doch die Huͤlfe anderer Leute in Anſpruch zu nehmen. Sie laͤchelte aber nur und bedankte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/226>, abgerufen am 18.12.2024.