Ihr Glück herbeizulocken, gleichsam wie in ein aufgespanntes Netz, damit es durch einen tüchti¬ gen Hausstand ausgefüllt werde, oder gleichsam wie die Gelehrten und Schriftsteller durch ein Buch weißes Papier gereizt und veranlaßt wer¬ den sollen, ein gutes Werk darauf zu schreiben, oder die Maler durch eine ausgespannte Lein¬ wand, ein schönes Stück Leben darauf zu malen. Zuweilen stützt sie ausruhend den Kopf auf die Hand und staunt unverwandt in das Land hin¬ aus über die Dächer weg oder in die Wolken; wenn es aber dunkelt, so läßt sie das Rad still stehen und bleibt so im Dunkeln sitzen, ohne Licht anzuzünden, und wenn der Mond oder ein fremder Lichtstrahl auf ihr Fenster fällt, so kann man alsdann unfehlbar ihre Gestalt in demselben sehen, wie sie immer gleich in's Weite hinaus¬ schaut. Seit Jahren geht sie in demselben brau¬ nen Kleide, welches sich gar nicht abzutragen scheint, über die Straße und hat sich streng von aller auch der einfachsten Zier entblößt, daß es unsere Weiber ärgert, welche gewöhnt sind, sich mit der Zeit immer reicher zu kleiden, anstatt
Ihr Gluͤck herbeizulocken, gleichſam wie in ein aufgeſpanntes Netz, damit es durch einen tuͤchti¬ gen Hausſtand ausgefuͤllt werde, oder gleichſam wie die Gelehrten und Schriftſteller durch ein Buch weißes Papier gereizt und veranlaßt wer¬ den ſollen, ein gutes Werk darauf zu ſchreiben, oder die Maler durch eine ausgeſpannte Lein¬ wand, ein ſchoͤnes Stuͤck Leben darauf zu malen. Zuweilen ſtuͤtzt ſie ausruhend den Kopf auf die Hand und ſtaunt unverwandt in das Land hin¬ aus uͤber die Daͤcher weg oder in die Wolken; wenn es aber dunkelt, ſo laͤßt ſie das Rad ſtill ſtehen und bleibt ſo im Dunkeln ſitzen, ohne Licht anzuzuͤnden, und wenn der Mond oder ein fremder Lichtſtrahl auf ihr Fenſter faͤllt, ſo kann man alsdann unfehlbar ihre Geſtalt in demſelben ſehen, wie ſie immer gleich in's Weite hinaus¬ ſchaut. Seit Jahren geht ſie in demſelben brau¬ nen Kleide, welches ſich gar nicht abzutragen ſcheint, uͤber die Straße und hat ſich ſtreng von aller auch der einfachſten Zier entbloͤßt, daß es unſere Weiber aͤrgert, welche gewoͤhnt ſind, ſich mit der Zeit immer reicher zu kleiden, anſtatt
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Ihr Gluͤck herbeizulocken, gleichſam wie in ein
aufgeſpanntes Netz, damit es durch einen tuͤchti¬
gen Hausſtand ausgefuͤllt werde, oder gleichſam
wie die Gelehrten und Schriftſteller durch ein
Buch weißes Papier gereizt und veranlaßt wer¬
den ſollen, ein gutes Werk darauf zu ſchreiben,
oder die Maler durch eine ausgeſpannte Lein¬
wand, ein ſchoͤnes Stuͤck Leben darauf zu malen.
Zuweilen ſtuͤtzt ſie ausruhend den Kopf auf die
Hand und ſtaunt unverwandt in das Land hin¬
aus uͤber die Daͤcher weg oder in die Wolken;
wenn es aber dunkelt, ſo laͤßt ſie das Rad ſtill
ſtehen und bleibt ſo im Dunkeln ſitzen, ohne
Licht anzuzuͤnden, und wenn der Mond oder ein
fremder Lichtſtrahl auf ihr Fenſter faͤllt, ſo kann
man alsdann unfehlbar ihre Geſtalt in demſelben
ſehen, wie ſie immer gleich in's Weite hinaus¬
ſchaut. Seit Jahren geht ſie in demſelben brau¬
nen Kleide, welches ſich gar nicht abzutragen
ſcheint, uͤber die Straße und hat ſich ſtreng von
aller auch der einfachſten Zier entbloͤßt, daß es
unſere Weiber aͤrgert, welche gewoͤhnt ſind, ſich
mit der Zeit immer reicher zu kleiden, anſtatt
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/225>, abgerufen am 23.11.2024.
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