an der Mutter selbst eine Art Schuld aufzufinden, welche eine solche Leidensschule verursacht, so konnte er keine finden, und diese ganze Unter¬ suchung dünkte ihn lästerlich und unkindlich; oder wenn er endlich etwa dachte, daß vielleicht gerade das ängstliche Wesen der Mutter in irdi¬ schen Dingen, der große Werth, den sie auf ein sicheres Auskommen und auf eine herbe Sparsam¬ keit legte, ihr Vergehen sei, welches eine weise Schule Gottes hervorgerufen, so konnte er doch zwischen der anhaltenden und bitteren Strenge dieser Schule und der geringfügigen harmlosen und unschädlichen Ursache derselben durchaus kein gerechtes und weises Verhältniß finden, und wenn noch irgend etwas Verhältnißmäßiges da war, so dünkte es ihn erträglicher und edler, es lediglich als die innewohnende Folgerichtigkeit und Nothwendigkeit der Dinge zu betrachten, als es dem vorsätzlichen Benehmen eines über¬ kritischen Gottes zuzuschreiben. Nichts desto minder wandte er sich jedesmal, wenn das verlorene Schweigen zwischen ihm und der Mutter recht in ihn hineinfraß, wieder mit einem wahren sehn¬
an der Mutter ſelbſt eine Art Schuld aufzufinden, welche eine ſolche Leidensſchule verurſacht, ſo konnte er keine finden, und dieſe ganze Unter¬ ſuchung duͤnkte ihn laͤſterlich und unkindlich; oder wenn er endlich etwa dachte, daß vielleicht gerade das aͤngſtliche Weſen der Mutter in irdi¬ ſchen Dingen, der große Werth, den ſie auf ein ſicheres Auskommen und auf eine herbe Sparſam¬ keit legte, ihr Vergehen ſei, welches eine weiſe Schule Gottes hervorgerufen, ſo konnte er doch zwiſchen der anhaltenden und bitteren Strenge dieſer Schule und der geringfuͤgigen harmloſen und unſchaͤdlichen Urſache derſelben durchaus kein gerechtes und weiſes Verhaͤltniß finden, und wenn noch irgend etwas Verhaͤltnißmaͤßiges da war, ſo duͤnkte es ihn ertraͤglicher und edler, es lediglich als die innewohnende Folgerichtigkeit und Nothwendigkeit der Dinge zu betrachten, als es dem vorſaͤtzlichen Benehmen eines uͤber¬ kritiſchen Gottes zuzuſchreiben. Nichts deſto minder wandte er ſich jedesmal, wenn das verlorene Schweigen zwiſchen ihm und der Mutter recht in ihn hineinfraß, wieder mit einem wahren ſehn¬
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[208/0218]
an der Mutter ſelbſt eine Art Schuld aufzufinden,
welche eine ſolche Leidensſchule verurſacht, ſo
konnte er keine finden, und dieſe ganze Unter¬
ſuchung duͤnkte ihn laͤſterlich und unkindlich;
oder wenn er endlich etwa dachte, daß vielleicht
gerade das aͤngſtliche Weſen der Mutter in irdi¬
ſchen Dingen, der große Werth, den ſie auf ein
ſicheres Auskommen und auf eine herbe Sparſam¬
keit legte, ihr Vergehen ſei, welches eine weiſe
Schule Gottes hervorgerufen, ſo konnte er doch
zwiſchen der anhaltenden und bitteren Strenge
dieſer Schule und der geringfuͤgigen harmloſen
und unſchaͤdlichen Urſache derſelben durchaus kein
gerechtes und weiſes Verhaͤltniß finden, und
wenn noch irgend etwas Verhaͤltnißmaͤßiges da
war, ſo duͤnkte es ihn ertraͤglicher und edler, es
lediglich als die innewohnende Folgerichtigkeit
und Nothwendigkeit der Dinge zu betrachten,
als es dem vorſaͤtzlichen Benehmen eines uͤber¬
kritiſchen Gottes zuzuſchreiben. Nichts deſto minder
wandte er ſich jedesmal, wenn das verlorene
Schweigen zwiſchen ihm und der Mutter recht in
ihn hineinfraß, wieder mit einem wahren ſehn¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/218>, abgerufen am 24.11.2024.
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