Hofschuhmacher stieß mit der ungeheuren Schil¬ derei, welche er an seinem Laden aufrichtete, der über ihm wohnenden alten Jungfer den verblüh¬ ten Myrthenstock herunter, welchen die Geizige statt allen Aufwandes vor das Fenster gesetzt.
Im Laden des Alten war es allmälig leer geworden, nur einzelne arme Leute kamen am Nachmittage noch, um nach reiflichem Entschlusse und Erwägung des Nutzens oder des Schadens, welchen die Unterlassung bringen könnte, noch eine billige Fahne oder zwei zu holen, und feilsch¬ ten hartnäckig um den Preis. Der Alte zählte jetzt seine Einnahme, und vollauf damit beschäftigt, forderte er Heinrich auf, sich jetzt hinauszuma¬ chen, unter die Leute zu gehen, den Einzug an¬ zusehen und sich etwas gütlich zu thun. "Sie machen sich wohl nichts daraus, wie?" fügte er hinzu, als er sah, daß der Aufgeforderte keine besondere Lust zeigte, "sehen Sie, so wird man gesetzt und klug! Schon weiser geworden dahinten bei der alten Esse in der kurzen Zeit! Das ist recht, so muß es kommen! Aber geht dennoch ein bischen hinaus, Liebster, und wäre es nur,
Hofſchuhmacher ſtieß mit der ungeheuren Schil¬ derei, welche er an ſeinem Laden aufrichtete, der uͤber ihm wohnenden alten Jungfer den verbluͤh¬ ten Myrthenſtock herunter, welchen die Geizige ſtatt allen Aufwandes vor das Fenſter geſetzt.
Im Laden des Alten war es allmaͤlig leer geworden, nur einzelne arme Leute kamen am Nachmittage noch, um nach reiflichem Entſchluſſe und Erwaͤgung des Nutzens oder des Schadens, welchen die Unterlaſſung bringen koͤnnte, noch eine billige Fahne oder zwei zu holen, und feilſch¬ ten hartnaͤckig um den Preis. Der Alte zaͤhlte jetzt ſeine Einnahme, und vollauf damit beſchaͤftigt, forderte er Heinrich auf, ſich jetzt hinauszuma¬ chen, unter die Leute zu gehen, den Einzug an¬ zuſehen und ſich etwas guͤtlich zu thun. »Sie machen ſich wohl nichts daraus, wie?« fuͤgte er hinzu, als er ſah, daß der Aufgeforderte keine beſondere Luſt zeigte, »sehen Sie, ſo wird man geſetzt und klug! Schon weiſer geworden dahinten bei der alten Eſſe in der kurzen Zeit! Das iſt recht, ſo muß es kommen! Aber geht dennoch ein bischen hinaus, Liebſter, und waͤre es nur,
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Hofſchuhmacher ſtieß mit der ungeheuren Schil¬
derei, welche er an ſeinem Laden aufrichtete, der
uͤber ihm wohnenden alten Jungfer den verbluͤh¬
ten Myrthenſtock herunter, welchen die Geizige
ſtatt allen Aufwandes vor das Fenſter geſetzt.
Im Laden des Alten war es allmaͤlig leer
geworden, nur einzelne arme Leute kamen am
Nachmittage noch, um nach reiflichem Entſchluſſe
und Erwaͤgung des Nutzens oder des Schadens,
welchen die Unterlaſſung bringen koͤnnte, noch
eine billige Fahne oder zwei zu holen, und feilſch¬
ten hartnaͤckig um den Preis. Der Alte zaͤhlte
jetzt ſeine Einnahme, und vollauf damit beſchaͤftigt,
forderte er Heinrich auf, ſich jetzt hinauszuma¬
chen, unter die Leute zu gehen, den Einzug an¬
zuſehen und ſich etwas guͤtlich zu thun. »Sie
machen ſich wohl nichts daraus, wie?« fuͤgte er
hinzu, als er ſah, daß der Aufgeforderte keine
beſondere Luſt zeigte, »sehen Sie, ſo wird man
geſetzt und klug! Schon weiſer geworden dahinten
bei der alten Eſſe in der kurzen Zeit! Das iſt
recht, ſo muß es kommen! Aber geht dennoch
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/204>, abgerufen am 22.11.2024.
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