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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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mit ihr nicht gerichtet werdet!" Selbst wenn
wir nun gleich erzählen, welches Verhalten Hein¬
rich annahm, nachdem er sich durch einige gute
Nahrung gestärkt, so werden wir durchaus nicht
unsere Meinung hinzufügen, ob der nüchterne
oder der gesättigte grüne Heinrich Recht habe.

Er begab sich also nun mit kurzen Schritten
nach dem gewohnten Speisehaus, welches ihm
als der allerseligste Aufenthalt vorkam, und der
Geruch der Speisen dünkte ihn köstlicher denn
der Duft von tausend Rosengärten. Die auf¬
wartenden Mädchen, welche sonst schon hübsch
und munter waren, erschienen ihm wie huldreiche
Engel, in deren Obhut es gut wohnen sei, und
gerührt darüber, daß es in der Welt doch so
wohlmeinend zugehe, setzte sich der gänzlich Aus¬
gehungerte und mürbe Gewordene zu Tisch, in
der festen Absicht, sich für das Fasten gründlich
zu entschädigen.

Hatte aber der bloße Anblick des vielver¬
mögenden Geldes ihn aufgemuntert, so stärkte
ihn jetzt das Essen zusehends, daß er ordentlich
zu Gedanken kam, und schon während er die kräf¬

mit ihr nicht gerichtet werdet!« Selbſt wenn
wir nun gleich erzaͤhlen, welches Verhalten Hein¬
rich annahm, nachdem er ſich durch einige gute
Nahrung geſtaͤrkt, ſo werden wir durchaus nicht
unſere Meinung hinzufuͤgen, ob der nuͤchterne
oder der geſaͤttigte gruͤne Heinrich Recht habe.

Er begab ſich alſo nun mit kurzen Schritten
nach dem gewohnten Speiſehaus, welches ihm
als der allerſeligſte Aufenthalt vorkam, und der
Geruch der Speiſen duͤnkte ihn koͤſtlicher denn
der Duft von tauſend Roſengaͤrten. Die auf¬
wartenden Maͤdchen, welche ſonſt ſchon huͤbſch
und munter waren, erſchienen ihm wie huldreiche
Engel, in deren Obhut es gut wohnen ſei, und
geruͤhrt daruͤber, daß es in der Welt doch ſo
wohlmeinend zugehe, ſetzte ſich der gaͤnzlich Aus¬
gehungerte und muͤrbe Gewordene zu Tiſch, in
der feſten Abſicht, ſich fuͤr das Faſten gruͤndlich
zu entſchaͤdigen.

Hatte aber der bloße Anblick des vielver¬
moͤgenden Geldes ihn aufgemuntert, ſo ſtaͤrkte
ihn jetzt das Eſſen zuſehends, daß er ordentlich
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[163/0173] mit ihr nicht gerichtet werdet!« Selbſt wenn wir nun gleich erzaͤhlen, welches Verhalten Hein¬ rich annahm, nachdem er ſich durch einige gute Nahrung geſtaͤrkt, ſo werden wir durchaus nicht unſere Meinung hinzufuͤgen, ob der nuͤchterne oder der geſaͤttigte gruͤne Heinrich Recht habe. Er begab ſich alſo nun mit kurzen Schritten nach dem gewohnten Speiſehaus, welches ihm als der allerſeligſte Aufenthalt vorkam, und der Geruch der Speiſen duͤnkte ihn koͤſtlicher denn der Duft von tauſend Roſengaͤrten. Die auf¬ wartenden Maͤdchen, welche ſonſt ſchon huͤbſch und munter waren, erſchienen ihm wie huldreiche Engel, in deren Obhut es gut wohnen ſei, und geruͤhrt daruͤber, daß es in der Welt doch ſo wohlmeinend zugehe, ſetzte ſich der gaͤnzlich Aus¬ gehungerte und muͤrbe Gewordene zu Tiſch, in der feſten Abſicht, ſich fuͤr das Faſten gruͤndlich zu entſchaͤdigen. Hatte aber der bloße Anblick des vielver¬ moͤgenden Geldes ihn aufgemuntert, ſo ſtaͤrkte ihn jetzt das Eſſen zuſehends, daß er ordentlich zu Gedanken kam, und ſchon waͤhrend er die kraͤf¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/173>, abgerufen am 29.11.2024.