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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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das Beißen und Kauen schon zur Ehre, und kaut
dem, der keines hat, recht unter die Nase; aber
der glückliche Erwerb des Brotes ist zu dieser
Zeit aus einer einfachen Naturpflicht zu einer aus¬
gesuchten Ehrentugend und Ritterschaft geworden,
zu deren Erlangung der Neuling nicht ohne Wei¬
teres zugelassen wird, sondern verschiedene frei¬
maurerische Grade der Niederträchtigkeit oder der
Verdrehtheit und zweckwidrigen Unsinnes jeder
Art durchmachen muß. In der Bevölkerung,
welche ihr Leben unmittelbar der Natur und dem
untersten Bedürfniß abgewinnt, ist die Heiligkeit
und die Bedeutung der Arbeit noch klar und ver¬
ständlich; da versteht es sich von selbst, daß Keiner
dem Anderen zusehen darf, wie er gräbt und schau¬
felt um ihm das Herausgegrabene wegzunehmen
und zu verzehren. Alles, was einer da thut,
hilft ihn und die Welt erhalten und hat einen
unbezweifelten, wahren und sicheren Zweck. In
jener höheren abstracten Welt aber ist einstweilen
Alles auf den Kopf gestellt und die Begriffe von
der Bedeutung der Arbeit verkehrt bis zum Un¬
kenntlichwerden.

das Beißen und Kauen ſchon zur Ehre, und kaut
dem, der keines hat, recht unter die Naſe; aber
der gluͤckliche Erwerb des Brotes iſt zu dieſer
Zeit aus einer einfachen Naturpflicht zu einer aus¬
geſuchten Ehrentugend und Ritterſchaft geworden,
zu deren Erlangung der Neuling nicht ohne Wei¬
teres zugelaſſen wird, ſondern verſchiedene frei¬
maureriſche Grade der Niedertraͤchtigkeit oder der
Verdrehtheit und zweckwidrigen Unſinnes jeder
Art durchmachen muß. In der Bevoͤlkerung,
welche ihr Leben unmittelbar der Natur und dem
unterſten Beduͤrfniß abgewinnt, iſt die Heiligkeit
und die Bedeutung der Arbeit noch klar und ver¬
ſtaͤndlich; da verſteht es ſich von ſelbſt, daß Keiner
dem Anderen zuſehen darf, wie er graͤbt und ſchau¬
felt um ihm das Herausgegrabene wegzunehmen
und zu verzehren. Alles, was einer da thut,
hilft ihn und die Welt erhalten und hat einen
unbezweifelten, wahren und ſicheren Zweck. In
jener hoͤheren abſtracten Welt aber iſt einſtweilen
Alles auf den Kopf geſtellt und die Begriffe von
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[114/0124] das Beißen und Kauen ſchon zur Ehre, und kaut dem, der keines hat, recht unter die Naſe; aber der gluͤckliche Erwerb des Brotes iſt zu dieſer Zeit aus einer einfachen Naturpflicht zu einer aus¬ geſuchten Ehrentugend und Ritterſchaft geworden, zu deren Erlangung der Neuling nicht ohne Wei¬ teres zugelaſſen wird, ſondern verſchiedene frei¬ maureriſche Grade der Niedertraͤchtigkeit oder der Verdrehtheit und zweckwidrigen Unſinnes jeder Art durchmachen muß. In der Bevoͤlkerung, welche ihr Leben unmittelbar der Natur und dem unterſten Beduͤrfniß abgewinnt, iſt die Heiligkeit und die Bedeutung der Arbeit noch klar und ver¬ ſtaͤndlich; da verſteht es ſich von ſelbſt, daß Keiner dem Anderen zuſehen darf, wie er graͤbt und ſchau¬ felt um ihm das Herausgegrabene wegzunehmen und zu verzehren. Alles, was einer da thut, hilft ihn und die Welt erhalten und hat einen unbezweifelten, wahren und ſicheren Zweck. In jener hoͤheren abſtracten Welt aber iſt einſtweilen Alles auf den Kopf geſtellt und die Begriffe von der Bedeutung der Arbeit verkehrt bis zum Un¬ kenntlichwerden.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/124>, abgerufen am 29.11.2024.